Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, ist tot.
Spiegel starb nach Angaben des Zentralrats am Sonntagmorgen im Alter von 68 Jahren nach langer schwerer Krankheit in Düsseldorf. Er wird nach den Worten des Generalsekretärs des Zentralrats, Stephan Kramer, in der zweiten Wochenhälfte vermutlich im engsten Familienkreis in Düsseldorf beigesetzt. Für Sonntag plant der Zentralrat eine zentrale Trauerfeier in Düsseldorf. Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich in einer ersten Reaktion tief erschüttert vom Tode Spiegels, der sich mit großer Leidenschaft und aller Kraft für eine gute Zukunft der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland eingesetzt habe. Der Unternehmer Spiegel war 1999 nach dem Tod von Ignatz Bubis an die Spitze des Zentralrates gerückt.
Spiegel litt nach Angaben Kramers an Leukämie. Anfang Februar hatte Spiegel einen Herzinfarkt erlitten und war anschließend in ein künstliches Koma versetzt worden, aus dem er Anfang April wieder aufwachte. In den vergangenen Tagen seien plötzlich neue Infektionen aufgetreten, sagte Kramer. Über die Nachfolge werden die Gremien nach Angaben Kramers nach der mindestens einmonatigen Trauerzeit entscheiden. Bis dahin würden die Amtsgeschäfte wie schon während der Krankheit Spiegels von den beiden Vizepräsidenten Charlotte Knobloch und Salomon Korn weitergeführt.
Merkel erklärte, Spiegel habe sich konsequent zu den Grundfesten der Demokratie bekannt. "Er mahnte, wo viele stumm blieben. Sein Einsatz für Zivilcourage, für Toleranz und gegenseitigen Respekt und gegen Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus hat Maßstäbe gesetzt", hieß es in der Erklärung der Kanzlerin.
Die Grünen-Vorsitzenden Claudia Roth und Reinhard Bütikofer erklärten, Spiegel hinterlasse eine Lücke, die nur schwer zu schließen sei. Er habe sich nie vom Ziel des friedlichen Miteinanders abbringen lassen und zugleich durch seine Mahnungen das Augenmerk der Öffentlichkeit darauf gerichtet, "dass Antisemtisimus und Rechtsextremismus in unserem Land verstärkt einen Nährboden finden".
ÜBERLEBTE HOLOCAUST IN BELGISCHEM VERSTECK
Spiegel wurde am 31. Dezember 1937 im westfälischen Warendorf geboren. Die Familie floh 1939 mit dem noch nicht einmal zweijährigen Paul vor den Nazis nach Belgien. Spiegel wurde bis zum Kriegsende von einem Bauern in der Nähe von Namur versteckt. Sein Vater überlebte die Konzentrationslager Buchenwald, Auschwitz und Dachau. Spiegels ältere Schwester Rosa wurde von den Nazis in das KZ Bergen-Belsen verschleppt, wo sich ihre Spur verlor.
Nach dem Abitur schlug Spiegel eine journalistische Laufbahn ein, die er bei der "Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung" begann. Im Jahr 1986 eröffnete er in Düsseldorf eine Künstler-Agentur.
Schon früh engagierte sich Spiegel in den jüdischen Organisationen. Ab 1967 war er Gemeinderat in der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, 1984 übernahm er deren Vorsitz. 1993 wurde Spiegel zu einem der zwei stellvertretenden Präsidenten des Zentralrates der Juden gewählt, die höchste politische und religiöse Repräsentanz der über 100.000 Juden in Deutschland. Nach dem Tod von Zentralrats-Präsident Bubis im Jahr 1999 wurde Spiegel im Januar 2000 zu dessen Nachfolger gewählt.
Spiegel warnte unablässig vor dem Wiedererstarken rechtsextremer und antisemitischer Strömungen und Gewalt. Besonders betroffen war Spiegel durch einen Brandanschlag auf die Synagoge seiner Gemeinde in Düsseldorf im Oktober 2000. Einen Monat später forderte er auf einer Kundgebung vor dem Brandenburger Tor in Berlin aus Anlass des Jahrestages der Pogromnacht 1938 "deutliche Signale, dass die nichtjüdische Bevölkerung in ihrer Mehrheit uns und unsere jüdischen Gemeinden in diesem Land haben wollen".
In die Amtszeiten Spiegels fielen die Unterzeichnung des Staatsvertrages zwischen Deutschland und dem Zentralrat im Januar 2003, die Vereinbarung über die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter sowie die Eröffnung des Holocaust-Denkmals in Berlin.