Ibrahim Rugova, Präsident des Uno-Protektorats Kosovo, ist seiner Krebserkrankung erlegen. Sein Einsatz für Kosovos Selbstbestimmung liess ihn zur Symbolfigur werden. Wegen seines Tods werden die anberaumten Verhandlungen zwischen Pristina und Belgrad verschoben.
Der Präsident von Kosovo, Ibrahim Rugova, ist am Samstagmittag im Alter von 61 Jahren gestorben. Die Nachricht löste in der formell zu Serbien-Montenegro gehörenden Provinz grosse Betroffenheit aus. Die für den kommenden Mittwoch in Wien unter Uno-Vorsitz geplanten Verhandlungen zwischen Serben und Kosovo-Albanern wurden um einen Monat verschoben. Die Regelung von Rugovas Nachfolge ist völlig offen und dürfte in Kosovo in den kommenden Wochen zu innenpolitischen Turbulenzen führen. Im Hinblick auf die Festsetzung von Kosovos Rechtsstatus ist Rugovas Tod auch für Serbien von einiger Bedeutung. Eine Destabilisierung von Kosovos labiler Sicherheitslage könnte sich auch nachteilig für Belgrad auswirken. Der Vorsitzende des Parlaments der Übergangsverwaltung in Pristina, Nexhat Daci, hat interimistisch das Präsidentenamt übernommen. Innerhalb der nächsten drei Monate muss das Parlament einen neuen Amtsinhaber wählen.
Beileid aus aller Welt
Obwohl Rugovas Erkrankung an Lungenkrebs bereits seit letztem Herbst bekannt war, hat die Todesnachricht für Überraschung gesorgt. Noch in der vergangenen Woche zirkulierten in Pristina Berichte, wonach der Präsident zufriedenstellend auf eine Chemotherapie reagiere, der er sich unter der Aufsicht amerikanischer Spezialisten unterzogen hatte. Sein Gesundheitszustand war von unmittelbarer Bedeutung, weil er formell dem kosovo-albanischen Verhandlungsteam vorstand, das am Mittwoch in Wien mit der offiziellen serbischen Delegation über die Dezentralisierung der Provinz hätte verhandeln müssen. Die Gespräche werden seit Monaten von der Uno vorbereitet. Von ihrem Verlauf hängt nicht nur die rechtliche Zukunft Kosovos ab, sondern auch eine längerfristige Beruhigung in diesem Teil des Balkans. Obwohl Rugovas persönliche Teilnahme in Wien wegen seiner Gesundheit fraglich war, wurde dem kosovarischen Präsidenten dennoch eine hohe Bedeutung als Symbolfigur beigemessen. Ihm hätte man am ehesten zugetraut, unumgängliche Kompromisse seinen Landsleuten gegenüber zu rechtfertigen. Für diese Rolle fällt er nun aus.
Ermessen lässt sich Rugovas Schlüsselstellung anhand der in aller Welt und auch in Belgrad geäusserten Beileidsbezeugungen, wie sie sonst nur bei Todesfällen amtierender Staatschefs üblich sind. Kosovo aber ist kein Staat, sondern faktisch ein Uno-Protektorat. In Hinblick auf dessen künftigen Status wird daher von Bedeutung sein, welchen Rang die internationalen Trauergäste einnehmen, die am kommenden Donnerstag für Rugovas Beisetzung in Pristina erwartet werden. Zunächst aber wurde von internationaler Seite mit Nachdruck die politische Elite der Provinz zu Besonnenheit aufgerufen. Die Realisierung von Rugovas lebenslanger Mission eines freien Kosovo liege nun in den Händen der Bevölkerung und ihrer Vertreter, liess sich der Chef der Uno- Verwaltung in Pristina (Unmik), Jessen-Petersen, in einem Appell an die Mitglieder der Übergangsregierung vernehmen. Deren wichtigste Vertreter waren bereits am Samstag mit dem Unmik-Chef zusammengetroffen, um danach demonstrativ Einigkeit zu markieren.
Angst vor einem Machtgerangel
Der Beweis solcher Einmütigkeit ist vorrangig, weil in Kosovo die Angst vor einem Gerangel um Rugovas Nachfolge bereits seit Wochen zu spüren ist. Abgesehen von seinem internationalen Renommee als moderater Vorkämpfer von Kosovos Recht auf Selbstbestimmung hinterlässt der Verstorbene eine mehrfache institutionelle Vakanz. Geregelt werden muss nicht nur die Nachfolge im Präsidentenamt, sondern auch jene in der Führung der von Rugova mitbegründeten Demokratischen Liga Kosovos, der mit Abstand wählerstärksten Partei in der Provinz. Schliesslich muss auch die formelle Leitung des Verhandlungsteams neu bestimmt werden. Dass diese drei Schlüsselaufgaben auch künftig von einer Person allein wahrgenommen werden, ist wenig wahrscheinlich. Dem Interimspräsidenten Daci werden Aspirationen auf das oberste Amt nachgesagt. Über Popularität wie jene Rugovas verfügt er aber nicht.
In dem voraussehbaren Gerangel wird der Chef von Kosovos zweitgrösster Partei, Hashim Thaci, eine bedeutende Rolle spielen. Im Hintergrund dürfte auch der ehemalige Regierungschef Haradinaj mitmischen. Ihm ist jegliche politische Betätigung bis zum Beginn seines Prozesses vor dem Haager Kriegsverbrechertribunal untersagt. Dass sich die Protagonisten in der von wirtschaftlichen Interessen geprägten kosovarischen Innenpolitik in vernünftiger Frist gütlich einigen können, halten einheimische Kenner für wenig wahrscheinlich. Wie in den letzten Jahren in Pristina verschiedentlich geschehen, wird wohl auch diesmal ein Machtwort von aussen nötig sein.