Gruss

Gruß

Wo Ist der Schmerzenslaut, durchbohrt vom Nagel,
Wo ist Prometheus, der den Felsen stützte, trug?
Und wo der Geier, seine Krallen, die da jagen,
Sein gelbes Auge und sein finstrer Flug?

Tragödien – nie mehr, sie sind verstummt, uns fern,
Doch diese Lippen dringen vor auf ihrem Weg:
Zum Lastenträger Aischylos, bis in den Kern,
Und hin zu Sophokles, der Bäume schlägt.

Er ist der Hall, und Gruß, Signal, nein dies: der Pflug.
Aus Luft und Stein: Theaterrund der Zeiten
Stand auf – denn alle wollen sie sich sehen nun:
Geborene, die Abgrundnahen und – die ohne Tod hier
weiterschreiten.

Ossip Mandelstam
(Übertragung: Ralph Dutli)

Nachruf – Hermann Hesse

Nachruf
Meinem lieben Freunde H. C. Bodmer
an seinem Todestage, dem 28.Mai 1956

O Freund, daß du so früh gegangen bist!
Kahl dorrt um mich der Raum, der Wald einst war.
Vergessener alter Baum, steh ich allein.

Dich kannten wenige, und keiner ganz.
Verborgen unter flotter Maske
Des Reiters, Zechers, Offiziers, Mäzens
Lebte dein Strahlendes, dein heimliches Königtum.

Und daß du hinter straffer Herrenmiene
Hingabe hegtest, Demut, Liebeskraft
Fürs Große, Heilige, war Freunden nur
Des innern Kreises kund, ein Wissen,
Das wir als kostbares Geheimnis bargen.

Leb wohl, du Stürmischer, Unbändiger!
Dein Bild bewahr ich treu, das ritterliche.
Und lang am kahlgeschlagenen Hang
Betracht ich die verödete Stelle,
Ob der sich deine Krone einst gewiegt.

Hermann Hesse

sonnetLXXXI

SONNET LXXXI

Or I shall live your epitaph to make,
Or you survive when I in earth am rotten;
From hence your memory death cannot take,
Although in me each part will be forgotten.
Your name from hence immortal life shall have,
Though I, once gone, to all the world most die:
The earth can yield me but a common grave,
When you entombed in men’s eyes shall lie.
Your monument shall be my gentle verse,
Which eyes not yet created shall o’er-read;
And tongues to be your being shall rehearse,
When all the breathers of this world are dead;
You shall live – such virtue hath my pen-
Where breath most breathes, even in the mouths of men.

William Shakespeare

LXXXI. SONETT

Entweder leb’ ich, dir die Grabschrift zu ersinnen,
Oder du dauerst noch, wenn Moder mich verzehrt.
Dein Angedenken rafft kein Tod von hinnen,
Wenn auch von mir kein Lebender mehr hört.
Fortan unsterblich wird dein Name leben,
Wenn mich auf ewig Staub der Welt verbarg
Mir kann die Erd’ ein schlechtes Grab nur geben;
Du ruhst in Menschenaugen eingesargt.
Mein Freundesvers wird sein dein Monument,
Daß dich noch ungeborne Augen lesen
Und kommender Geschlechter Mund dich nennt,
Wenn alle Atmer dieser Welt verwesen.
So hält dich da, wo Odem nie versiegt,
Auf Menschenlippen atmend mein Gedicht.

Nachdichtung:

Psalm

Psalm
(1963)

Niemand knetet uns wieder aus Erde und Lehm,
niemand bespricht unsern Staub.
Niemand.

Gelobt seist du, Niemand.
Dir zulieb wollen
wir blühn.
Dir
entgegen.

Ein Nichts
waren wir, sind wir, werden
wir bleiben, blühend:
die Nichts-, die
Niemandsrose.

Mit
dem Griffel seelenhell,
dem Staubfaden himmelswüst,
der Krone rot
vom Purpurwort, das wir sangen
über, o über
dem Dorn.

Paul Celan

Gleichnis

Das Gleichnis von den drei Ringen
(aus: Nathan der Weise, 1779)

Vor grauen Jahren lebt’ ein Mann im Osten,
Der einen Ring von unschätzbarem Wert
Aus lieber Hand besaß. Der Stein war ein
Opal, der hundert schöne Farben spielte
Und hatte die geheime Kraft, vor Gott
Und Menschen angenehm zu machen, wer
In dieser Zuversicht ihn trug. Was Wunder,
Daß ihn der Mann im Osten darum nie
Vom Finger ließ und die Verfügung traf,
Auf ewig ihn bei seinem Hause zu
Erhalten? Nämlich so: Er ließ den Ring
Von seinen Söhnen dem Geliebtesten;
Und setzte fest, daß dieser wiederum
Den Ring von seinen Söhnen dem vermache,
Der ihm der Liebste sei; und stets der Liebste,
Ohn’ Anseh’n der Geburt, in Kraft allein
Des Rings, das Haupt, der Fürst des Hauses werde. –

So kam nun dieser Ring von Sohn zu Sohn,
Auf einen Vater endlich von drei Söhnen,
Die alle drei ihm gleich gehorsam waren,
Die alle drei er folglich gleich zu lieben
Sich nicht enthalten konnte. Nur von Zeit
Zu Zeit schien ihm bald der, bald dieser, bald
Der Dritte, – so wie jeder sich mit ihm
Allein befand, und sein ergießend Herz
Die andern zwei nicht teilten, – würdiger
Des Ringes, den er denn auch einem jeden
Die fromme Schwachheit hatte, zu versprechen.
Das ging nun so, so lang’ es ging. – Allein
Es kam zum Sterben, und der gute Vater
Kommt in Verlegenheit. Es schmerzt ihn, zwei
Von seinen Söhnen, die sich auf sein Wort
Verlassen, so zu kränken. – Was zu tun?
Er sendet ihn geheim zu einem Künstler,
Bei dem er, nach dem Muster seines Rings,
Zwei andere bestellt, und weder Kosten
Noch Mühe sparen heißt, sie jenem gleich,
Vollkommen gleich zu machen. Das gelingt
Dem Künstler. Da er ihm die Ringe bringt,
Kann selbst der Vater seinen Musterring
Nicht unterscheiden. Froh und freudig ruft
Er seine Söhne, jeden insbesondre;
Gibt jedem insbesondre seinen Segen –
Und seinen Ring – und stirbt. –

Kaum war der Vater tot, so kommt ein jeder
Mit seinem Ring, und jeder will der Fürst
Des Hauses sein. Man untersucht, man zankt,
Man klagt. Umsonst; der rechte Ring war nicht
Erweislich; – fast so unerweislich als
Uns jetzt – der rechte Glaube ist. – Die Söhne
Verklagen sich und jeder schwur dem Richter,
Unmittelbar aus seines Vaters Hand,
Den Ring zu haben – wie auch wahr! – nachdem
Er von ihm lange das Versprechen schon
Gehabt, des Ringes Vorrecht einmal zu
Genießen. – Wie nicht minder wahr! – der Vater
Beteuerte jeder, könne gegen ihn
Nicht falsch gewesen sein; und eh’ er dieses
Von ihm, von einem solchen lieben Vater
Argwöhnen laß’: eh’ müß er seine Brüder,
So gern er sonst von ihnen nur das Beste
Bereit zu glauben sei, des falschen Spiels
Bezeihen; und er wolle die Verräter
Schon auszufinden wissen; sich schon rächen.

Der Richter sprach: wenn ihr mir nun den Vater
Nicht bald zur Stelle schafft, so weis’ ich euch
Von meinem Stuhle. Denkt ihr, daß ich Rätsel
Zu lösen da bin? Oder harret ihr,
Bis daß der rechte Ring den Mund eröffne? –
Doch halt! ich höre ja, der rechte Ring
Besitzt die Wunderkraft, beliebt zu machen;
Vor Gott und Menschen angenehm. Das muß
Entscheiden! Denn die falschen Ringe werden
Doch das nicht können! – Nun, wen lieben zwei
Von euch am meisten? – Macht, sagt an! Ihr schweigt?
Die Ringe wirken nur zurück? und nicht
Nach außen? Jeder liebt sich selber nur
Am meisten? – Oh, so seid ihr alle drei
Betrogene Betrüger! Eure Ringe
Sind alle drei nicht echt. Der echte Ring
Vermutlich ging verloren. Den Verlust
Zu bergen, zu ersetzen, ließ der Vater
Die drei für einen machen. –
Und also, fuhr der Richter fort, wenn ihr
Nicht meinen Rat, statt meines Spruches, wollt:
Geht nur! – Mein Rat ist aber der: ihr nehmt
Die Sache völlig, wie sie liegt. Hat von
Euch jeder seinen Ring von seinem Vater:
So glaube jeder seinen Ring.

Den echten. – Möglich, daß der Vater nun
Die Tyrannei des einen Rings nicht länger
In seinem Hause dulden wollen! – Und gewiß
Daß er euch alle drei geliebt und gleich
Geliebt: in dem er zwei nicht drücken mögen,
Um einen zu begünstigen. – Wohlan!
Es eif’re jeder seiner unbestoch’nen,
Von Vorurteilen freien Liebe nach!
Es strebe von euch jeder um die Wette,
Die Kraft des Steins in seinem Ring an Tag
Zu legen! komme dieser Kraft mit Sanftmut,
Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun,
Mit innigster Ergebenheit in Gott
Zu Hilf’! Und wenn sich dann der Steine Kräfte
Bei euern Kindes-Kindeskindern äußern:
So lad’ ich über tausend tausend Jahre
Sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird
Ein weis’rer Mann auf diesem Stuhle sitzen,
Als ich; und sprechen. – Geht! – So sagte der
Bescheid’ne Richter. –

Gottfried Ephraim Lessing

mensch

Der Mensch

Empfangen und genähret
Vom Weibe wunderbar,
Kömmt er und sieht und höret
Und nimmt des Trugs nicht wahr;

Gelüstet und begehret
Und bringt sein Tränlein dar;
Verachtet und verehret,
Hat Freude und Gefahr;
Glaubt, zweifelt, wähnt und lehret,
Hält nichts und alles wahr;
Erbauet und zerstöret
Und quält sich immerdar;
Schläft, wachet, wäscht und zehret;
Trägt braun und graues Haar.
Und alles dieses währet,
Wenns hoch kommt achtzig Jahr.
Denn legt er sich zu seinen Vätern nieder,
Und er kömmt nimmer wieder.

Matthias Claudius

sepulchre

De l’élection de son sepulchre

Antres, & vous fontaines
De ces roches hautaines
Qui tombez contre-bas
D’vn glissant pas:

Et vous forests & ondes
Par ces prez vagabondes,
Et vous riues & bois
Oyez ma vois.

Quand le ciel & mon heure
Iugeront que ie meure,
Rauy du beau seiour
Du commun iour,

Je defens qu’on ne rompe
Le marbre pour la pompe
De vouloir mon tombeau
Bastir plus beau:

Mais bien ie veux qu’vn arbre
M’ombrage en lieu d’vn marbre,
Arbre qui soit couuert
Tousiours de vert.

Pierre de Ronsard

Wie ich mir mein Grab wünsche

Ihr Grotten, Quellen ihr,
Die aus dem Felsrevier
Hinstürzet unverwandt,
Ein gleitend Band,

Ihr Wälder, Bachgerinn
Durch grüne Wiesen hin,
Ihr Ufer, Haine dort,
Vernehmt mein Wort.

Will es die Schicksalsstund,
Daß ich nun geh zugrund,
Und wird genommen mir
Was schön war hier,

Soll nimmermehr es sein,
Daß man aus Marmorstein
Voll übertriebner Pracht
Ein Grab nur macht.

Ein Baum soll mich allein I~
Beschatten statt dem Stein,
Mit seiner Blätter Kleid,
Grün alle Zeit.

Übertragung: Max Rieple

sonnetXI

Sonnet XI

As fast as thou shalt wane, so fast thou grow’st
In one of thine, from that which thou departest;
And that fresh blood which youngly thou bestow’st
Thou mayst call thine when thou from youth convertest.
Herein lives wisdom, beauty and increase;
Without this, folly, age and cold decay:
If all were minded so, the times should cease
And threescore year would make the world away.
Let those whom Nature hath not made for store,
Harsh, featureless and rude, barrenly perish:
Look, whom she best endow’d she gave the more;
Which bounteous gift thou shouldst in bounty cherish:
She carved thee for her seal, and meant thereby
Thou shouldst print more, not let that copy die.

William Shakespeare

XI. SONETT

So schnell du abblühst, sprossest du heran
Aus dem, was dir entging, in deinen Zweigen,
Und was du jugendlich an Blut vertan,
Das nennst du, wenn die Jugend schwand, dein eigen.
Hierin lebt Weisheit, Schönheit, Nachwuchs fort;
Sonst, Torheit, Alter, eisiges Gerinnen.
Dächt’ alles so, die Zeit wär längst verdorrt,
In sechzig Jahren diese Welt von hinnen.
Laß sterben unfruchtbar, die anmutleer,
Rauh von Natur und wüst nicht zur Vermehrung taugen;
Sieh ihre Bestbegabten; dir ward mehr;
So reiche Gabe sollst du reichlich brauchen!
Natur schnitt ihren Stempel dich, und sprach:
Laß ihn nicht untergehen, präg’ ihn nach.

Nachdichtung

sonnetLXVI

SONNET LXVI

Tired with all these, for restful death I cry,
As, to behold desert a beggar born,
And needy nothing trimm’d in jollity,
And purest faith unhappily forsworn,
And gilded honour shamefully misplaced,
And maiden virtue rudely strumpeted,
And right perfection wrongfully disgraced,
And strength by limping sway disabled,
And art made tongue-tied by authority,
And folly, doctor-like, controlling skill,
And simple truth miscall’d simplicity,
And captive good attending captain ill:
Tired with all these, from these would I be gone,
Save that, to die, I leave my love alone.

William Shakespeare

LXVI. SONETT

Müde von alle diesem wünsch’ ich Tod:
Verdienst zum Bettler sehn geboren werden,
Und hohle Dürftigkeit in Grün und Rot,
Und wie sich reinste Treu entfärbt auf Erden,
Und goldnen Ehrenschmuck auf Knechteshaupt,
Und jungfräuliche Tugend frech geschändet,
Und Hoheit ihres Herrschertums beraubt,
Und Kraft an lahmes Regiment verschwendet,
Und Kunst im Zungenbande der Gewalt,
Und Schulenunsinn, der Vernunft entgeistert,
Und schlichte Wahrheit, die man Einfalt schalt,
Und wie vom Bösen Gutes wird gemeistert:
Müde von alle dem, wär Tod mir süß;
Nur, daß ich sterbend den Geliebten ließ!

Nachdichtung.

Ode an die Wiedererstandenen

Ode an die Wiedererstandenen

Die Nacht ist der Tod des Tages,
Die Berge sind der Tod der ältesten Vögel.

Jene Witwen, die sich still beklagend zum Gebet
waschen,
Sind der Tod ihrer seligen Gatten.

Geliebt werdet ihr hellblau, jeden Sommer,
Die Ähre ist der Tod des Weizens.
Ihr begreift nicht wie, ihr seht nicht: auf der Sonne
Ist Dienstag der Tod von Montag.

Eisig kalte, eisig dunkle
Einsamkeit ist der Tod jener schönen Helle.

Leben, Leben, dreißig Jahre, fünfzig Jahre, achtzig
Jahre
Sind deinetwegen der Tod der Liebe.

Fazil Hüsnü Daglarca
(Übertragung: Yüksel Pazarkaya)