Lateinische Grabinschrift

Lateinische Grabinschrift

Du, dessen Augen die Wohnung des Todes suchend betrachten,
Hemme die Schritte und lies bis zu Ende hier diese Inschrift,
Die ein liebender Vater der teuren Tochter gewidmet,
Wo ihres Leibes Reste nun ruhen ewig gebettet:
Als mir in strahlender Jugend noch frisch die Künste erblühten
Und mich die Jahre entgegenführten den Höhen des Ruhmes,
Nahte sich plötzlich verhängnisvoll die Stunde des Todes,
Und nicht länger sollte ich trinken den Atem des Lebens;
Kundig der Künste – den Musen gefiel es, mich selbst zu belehren –
War ich noch jüngst die Zierde des Chores im Spiele der Edlen
Und als erste trat ich vors Volk in griechischen Stücken;
Nun aber hat mir die feindliche Parze die Asche des Leibes
Mit ihrem Spruche hinabgebannt in das finstere Grabmal.
Meiner Beschützerin Ruhm, das Lob, die Liebe, die Sorge
Schweigen im schlafenden Leib, ein Raub des Todes, der Flammen.
Meinen Vater ließ ich zurück in Trauer und Tränen;
Nach ihm bin ich geboren und vor ihm dennoch gestorben:
In ihr Dunkel verschließt die Wohnung des ewigen Pluto
Zweimal sieben wiedergekehrte Geburtstage mit mir. –
Ziehest du weiter, so sprich: Es sei leicht ihr die Erde!

Übertragung: Carl Fischer

Lied – Sappho von Mytilene

Lied
(ca. 600 v. Christus)

Erstorben wirst du liegen,
Und niemand wird dein denken,
Niemand zu allen Zeiten:
Denn nie hast du die Rosen
Pieriens berühret.
Unscheinbar wirst du müssen
In Todes Wohnung gehen,
Und niemand wird dich ansehn
Im Heer der dunkeln Schatten.

Sappho von Mytilene
(übertragen von Johann Gottfried Herder)

Sanfter Tod

Ein sanfter Tod
(1964)

Sie glaubte an den Himmel; doch trotz ihres Alters, ihrer Gebrechen und Beschwerden war sie ungestüm der Erde verhaftet und empfand vor dem Tode ein animalisches Grauen.

Meiner Schwester hatte sie von einem Alptraum erzählt, der immer wiederkehrte: "Ich werde verfolgt, ich laufe und laufe und stoße gegen eine Mauer; ich muß über diese Mauer springen und weiß nicht, was dahinter ist; ich habe Angst. Der Tod selbst erschreckt mich nicht: ich habe Angst vor dem Sprung", hatte sie zu meiner Schwester gesagt. Als sie auf dem Fußboden kroch, glaubte sie, der Augenblick für den Sprung sei gekommen. (…)

Am Sonntag hatte sie mittags Kartoffelpüree gegessen, das nicht durchgekommen war (in Wirklichkeit hatten die eintretenden Metastasen sie geschwächt), und im Wachzustand einen langen Alptraum gehabt: "Ich lag in einem blauen Tuch über einem Loch", erzählte sie. "Deine Schwester hielt das Tuch, und ich bat sie: ‘Laß mich nicht in das Loch fallen’ … ‘Ich halte dich fest, du wirst nicht hineinfallen’, erwiderte Poupette." Sie hatte die Nacht auf einem Sessel verbracht, und Mama, die sonst immer um ihren Schlaf besorgt war, sagte zu ihr: "Schlaf nicht; laß mich nicht davongehen. Wenn ich einschlafe, dann weck mich: laß mich nicht davongehen, während ich schlafe." Plötzlich – so erzählte meine Schwester – schloß Mama erschöpft die Augen. Ihre Hände verkrallten sich in die Bettücher und sie rief: "Leben, leben!"(…)

Nachts hatte Mama wieder Alpträume: "Ich werde in einen Kasten gelegt", sagte sie zu meiner Schwester. "Ich bin da, aber im Kasten. Ich bin ich und doch nicht mehr ich. Männer tragen den Kasten weg!" Sie sträubte sich: "Laß sie mich nicht wegtragen!" Lange ließ Poupette ihre Hand auf Mamas Stirn liegen. "Ich verspreche dir, daß sie dich nicht in den Kasten legen werden." Sie verlangte eine weitere Dosis Equanil. Als Mama endlich von ihren Visionen erlöst war, fragte sie Poupette: "Was bedeutet das eigentlich, dieser Kasten und diese Männer?" "Das sind Erinnerungen an deine Operation: Krankenpfleger tragen dich auf einer Bahre weg." Mama schlief ein. Doch am nächsten Morgen lag in ihren Augen die ganze Traurigkeit wehrloser Tiere.

"Ich bin so müde", seufzte sie. Sie hatte eingewilligt, am Nachmittag Marthes Bruder, einen jungen Jesuiten, zu empfangen. "Soll ich ihm absagen?" "Nein. Deiner Schwester wird es Spaß machen; sie werden sich über Theologie unterhalten. Ich werde die Augen schließen und brauche nicht zu sprechen." Mittags aß sie nichts. Den Kopf auf die Brust geneigt, schlief sie ein. Als Poupette die Tür aufstieß, glaubte sie, alles sei zu Ende. Charles Cordonnier blieb nur fünf Minuten; er erzählte von den Essen, zu denen sein Vater Mama jede Woche einlud. "Ich hoffe, Sie an einem der nächsten Donnerstage am Boulevard Raspail wiederzusehen." Sie sah ihn ungläubig und bekümmert an. "Du glaubst also. ich komme wieder hin?"
Niemals hatte ich an ihr eine so unglückliche Miene gesehen: an dem Tage ahnte sie, daß sie verloren war.

Simone de Beauvoir

Joseph in Ägypten

Joseph in Ägypten
(1935)

"Friede sei mit dir!" sprach er. "Ruhe selig, mein Vater, zur Nacht! Siehe, ich wache und sorge für deine Glieder, während du völlig sorglos den Pfad des Trostes dahinziehen magst und dich um nichts mehr zu kümmern brauchst, denke doch nur und sei heiter: um gar nichts mehr! Um deine Glieder nicht, noch um die Geschäfte des Hauses, noch um dich selbst und was aus dir werden soll und wie es sein mag mit dem Leben nach diesem Leben, – das ist es ja eben, daß alles dies und das Ganze nicht deine Sache und Sorge ist und keinerlei Unruhe dich deswegen zu plagen braucht, sondern du’s alles sein lassen kannst, wie es ist, denn irgendwie muß es ja sein, da es ist, und sich so oder so verhalten, es ist dafür bestens gesorgt, du aber hast ausgesorgt und kannst dich einfach betten ins Vorgesorgte. Ist das nicht herrlich bequem und beruhigend? Ist’s nicht mit Müssen und Dürfen heut wie nur jemals, wenn dir mein Abendsegen empfahl, doch ja nicht zu denken, du müßtest ruhen, sondern du dürftest? Siehe, du darfst! Aus ist’s mit Plack und jeglicher Lästigkeit. Keine Leibesnot mehr, kein würgender Zudrang noch Krampfesschrecken. Nicht ekle Arznei, noch brennende Auflagen, noch schröpfende Ringelwürmer im Nacken. Auf tut sich die Kerkergrube deiner Belästigung. Du wandelst hinaus und schlenderst heil und ledig dahin die Pfade des Trostes, die tiefer ins Tröstliche führen mit jedem Schritt. Denn anfangs ziehst du durch Gründe noch, die du schon kennst, jene, die dich allabendlich aufnahmen durch meines Segens Vermittlung, und noch ist einige Schwere und Atemlast mit dir, ohne daß du’s recht weißt, vom Körper her, den ich hier halte mit meinen Händen. Bald aber – du achtest des Schrittes nicht, der dich hinüberführt – nehmen Auen dich auf der völligen Leichtigkeit, wo auch von ferne nicht und auf das unbewußteste eine Mühsal von hier aus mehr an dir hängt und zieht, und allsogleich bist du jeglicher Sorge und Zweifelsnot ebenfalls ledig, wie es sei und sich etwa verhalte mit dir und was aus dir werden solle, und du staunst, wie du dich jemals mit solchen Bedenklichkeiten hast plagen mögen, denn alles ist, wie es ist, und verhält sich aufs allernatürlichste, richtigste, beste, in glücklichster Übereinstimmung mit sich selbst und mit dir, der du Mont-kaw bist in alle Ewigkeit.

Denn was ist, das ist, und was war, das wird sein. Zweifeltest du in der Schwere, ob du dein Olbäumchen finden würdest in drüberen Gefilden? Du wirst lachen über dein Zagen, denn siehe, sie ist bei dir, – und wie sollte sie nicht, da sie dein ist? Und auch ich werde bei dir sein, Osarsiph, der verstorbene Joseph, wie ich für dich heiße, – die Ismaeliter werden mich dir bringen. Immer wirst du über den Hof kommen mit deinem Knebelbart, deinen Ohrringen und mit den Tränensäcken unter deinen Augen, die dir mutmaßlich geblieben sind von den Nächten her, die du heimlich-bescheiden um Beket verweint hast, das Olbäumchen, und wirst fragen: "Was ist das? Was für Männer?" und reden: "Seid so gut! Meint ihr, ich kann euch schwatzen hören die Tage des Rê?" Denn da du Mont-kaw bist, wirst du nicht aus der Rolle fallen und dir vor den Leuten das Ansehen geben, als glaubtest du wirklich, daß ich nichts anderes sei als Osarsiph, der verkäufliche Fremdsklave, da du doch heimlich wissen wirst in bescheidener Ahnung, schon vom vorigen Mal, wer ich bin und welchen Bogen ich hinziehe, daß ich den Weg der Götter, meiner Brüder, bahne. Fahr wohl denn, mein Vater und Vorsteher! Im Lichte und in der Leichtigkeit sehen wir beide uns wieder."

 

Thomas Mann

Ich weiss

Ich weiß

(1943)

 

Ich weiß, daß ich bald sterben muß

Es leuchten doch alle Bäume

Nach langersehntem Julikuß –

 

Fahl werden meine Träume –

Nie dichtete ich einen trüberen Schluß

In den Büchern meiner Reime.

 

Eine Blume brichst du mir zum Gruß –

Ich liebte sie schon im Keime.

Doch ich weiß, daß ich bald sterben muß.

 

Mein Odem schwebt über Gottes Fluß –

Ich setze leise meinen Fuß

Auf den Pfad zum ewigen Heime.

 

Else Lasker-Schüler

Selbst verfaßte Grabinschrift

Selbst verfaßte Grabinschrift

Hier liegt der Leib B. Franklins, eines Buchdruckers, gleich dem Deckel eines alten Buches, aus welchem der Inhalt herausgenommen, und das seiner Inschrift und Vergoldung beraubt ist – eine Speise für die Würmer; doch wird das Werk selbst nicht verloren sein, sondern, wie er glaubt, einst erscheinen in einer neuen, schöneren Ausgabe, durchgesehen und verbessert vom Verfasser!

Benjamin Franklin, 1706-1790, nordamerikanischer Staatsmann und Schriftsteller, ursprünglich Buchdrucker

(Quelle unbekannt)

Elegie (II)

Elegie (II)

So manches haben wir einst im Scherz
für den Fall des Tods abgemacht:
daß alles schon heute so eingetroffen,
hätte niemand gedacht!
Die Kleider hab ich längst weggeschenkt,
bald sehe ich keines mehr,
einzig von deinen Handarbeiten
gebe ich keine her
Die alten Gefühle vermag ich nur noch
auf die Diener und Mägde zu wenden,
sooft du mir im Traum erscheinst,
schenk ich mit vollen Händen.
Ich weiß sehr wohl, daß dieser Schmerz
allen Menschen gemein,
doch die Armut damals bereitet mir heute
noch hundertfache Pein!

Yuan Zhen

Ein Traum ist unser Leben

Ein Traum ist unser Leben

Ein Traum, ein Traum ist unser Leben
Auf Erden hier.
Wie Schatten auf den Wolken schweben
Und schwinden wir.
Und messen unsre trägen Tritte
Nach Raum und Zeit;
Und sind (und wissen’s nicht) in Mitte
Der Ewigkeit…

Johann Gottfried Herder

Ein jeder selbst

Ein jeder selbst
(1522)

Wir sind alle zum Tode gefordert, und es wird keiner für den andern sterben, sondern jeder muß in eigner Person geharnischt und gerüstet sein, mit dem Tode zu kämpfen. – Wir können wohl einer den andern trösten und zu Geduld, Streit und Kampf ermahnen, aber kämpfen und streiten können wir nicht für ihn, sondern es muß jeder selbst auf seiner Schanze stehn und sich mit den Feinden, dem Teufel und Tode messen, allein mit ihm im Kampf liegen.

Martin Luther

Der Tod der Weisen

Der Tod der Weisen

Auf dem Grab von Hafes gab es eine Rose,
Die täglich von neuem blühte mit blutender Farbe.
Nachts weinte die Nachtigall, bis es Morgen wurde,
Mit ihrer Melodie, die an das alte Schiras erinnert.

Der Tod ist das sorgenfreie Frühlingsland für jeden
[Weisen.
Jahrelang schwebt seine Seele überall als Weihrauch.
Und auf seinem Grab unter kühlen Zypressen
Blüht jeden Morgen eine Rose, singt jede Nacht eine
[Nachtigall.

Yahya Kemal Beyatli
(Übertragung: Yüksel Pazarkya)