Vergeblich

Vergeblich
(ca. 500 v. Chr.)

Gering ist der Menschen Macht, erfolglos ihr Streben, in
Knappem Dasein Mühsal um Mühsal,
Und unentrinnbar hängt gleichmäßig über ihnen der Tod.
Denn davon erhalten ihr Teil ebenso die Guten
Wie wer schlecht ist.
Es gibt kein Unglück
Das nicht zu erwarten wäre bei Menschen, in kurzer Frist
Stößt Gott alles um.
Denn alles versinkt in dem einen grauenvollen Wirbelschlund,
Die großen Manneswerte und der Reichtum.
Denn auch sie vermochten es nicht, die früher einmal gewesen sind,
Halbgötter gezeugt von Herrengöttern,
Ein mühefreies, verfallfreies, gefahrfreies Leben
Zum Ziel des Greisentums zu bringen.

Simonides von Keos
(übertragen von Hermann Fränkel)

Sure

27. Sure
(ca. 600 n.Chr.)

Darum wird Allah sie vor dem Übel dieses Tages bewahren und Heiterkeit und Freude auf ihrem Angesicht glänzen lassen und sie belohnen für ihre ausharrende Geduld mit einem Garten und mit seidenen Gewändern, und sie werden dort auf Lagerkissen ruhen und weder Sonne noch Kälte mehr fühlen. Dichte Schatten werden sich behütend über ihnen ausbreiten, und Früchte werden tief herabhängen, damit sie leicht gepflückt werden können.
Und Dienende werden mit silbernen Kelchen und Bechern um sie herumgehen, mit glashellen Silberflaschen, deren Maß sie nach eigenem Wunsch bestimmen können. Man gibt ihnen da zu trinken aus einem Becher Wein mit Ingwer-Wasser, aus einer Quelle dort, welche Salsabil heißt.
Zu ihrer Aufwartung gehen ewig blühende Jünglinge um sie herum; wenn du sie siehst, hälst du sie für verstreute Perlen, und wo du hinsiehst, erblickst du die Wonne und ein großes Reich. Ihre Gewänder sind aus feiner grüner Seide und aus Samt, durchwirkt mit Gold und Silber, und geschmückt sind sie mit silbernen Armbändern, und ihr Herr wird ihnen reinsten Trunk zu trinken geben und sagen: "Dies ist euer Lohn und der Dank für euer eifriges Streben."

Koran

Korinther – Paulus

Erster Brief an die Korinther
(ca. 50 n.Chr.)

Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden; und dasselbige plötzlich, in einem Augenblick, zu der Zeit der letzten Posaune. Denn es wird die Posaune schallen, und die Toten werden auferstehen unverweslich, und wir werden verwandelt werden. … Dann wird erfüllet werden das Wort, das geschrieben steht: Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?

Paulus

TodesBoten

Des Todes Boten
(ca. 750 n.. Chr.)

All die Gedankenlosen, die nicht sorgen,
Zu welcher Zeit des Todes Boten kommen,
Müssen in niederer Verkörperung
Lange die Qual der Leiden fühlen.
Die jedoch gut und heilig sind,
Betragen sich nicht gedankenlos,
Wenn des Todes Boten erscheinen,
Beachten, was die Hohe Lehre sagt,
und sehn, erschreckt, in der Verhaftung
Die ew’ge Quelle von Geburt und Tod,
Befrein sich selbst von diesem Hang
Und tilgen so Geburt und Tod.
Sicher und glücklich ruhen sie.
Entlassen aus der flutenden Schau,
Entbunden aller Sünd’ und Furcht;
Sie sind nun alles Elends bloß.

Tibetanisches Totenbuch

Die Pest

Die Pest
(1947)

Ohne aus dem Schatten herauszutreten sagte der Arzt, er habe schon geantwortet: Wenn er an einen allmächtigen Gott glaubte, würde er aufhören, die Menschen zu heilen und würde diese Sorge ihm überlassen. Aber niemand auf der Welt – nein, nicht einmal Paneloux, der glaube, daran zu glauben – glaube an einen solchen Gott, da niemand sich völlig hingebe, und zumindest darin glaube er, Rieux, auf dem Weg der Wahrheit zu sein, indem er gegen die Schöpfung, so wie sie war, ankämpfe.
"Ach, das ist also die Vorstellung, die Sie sich von Ihrem Beruf machen?"
"Ungefähr", sagte der Arzt und trat wieder ins Licht.
Tarrou pfiff leise, und der Arzt sah ihn an.
"Ja", sagte er, "Sie denken, daß dazu Stolz nötig ist. Aber ich habe nicht mehr als den nötigen Stolz, glauben Sie mir. Ich weiß nicht, was mich erwartet und was nach all dem hier kommen wird. Vorerst sind da die Kranken, und sie müssen geheilt werden. Danach werden sie nachdenken und ich auch. Aber das dringendste ist, sie zu heilen. Ich verteidige sie, so gut ich kann, das ist alles."
"Gegen wen?"
Rieux wandte sich zum Fenster. An einer dichteren Dunkelheit des Horizonts erahnte er in der Ferne das Meer. Er spürte nur seine Müdigkeit und kämpfte gleichzeitig gegen einen plötzlichen, unsinnigen Wunsch, sich diesem eigenartigen, aber wie er fühlte, brüderlichen Mann etwas mehr anzuvertrauen.
"Ich habe keine Ahnung, Tarrou, ich schwöre Ihnen, daß ich keine Ahnung habe. Als ich diesen Beruf ergriffen habe, geschah es gewissermaßen abstrakt, weil ich einen brauchte, weil es eine Stellung wie alle anderen war, eine von denen, die junge Leute sich zum Ziel setzen. Vielleicht auch, weil es besonders schwierig für einen Arbeitersohn wie mich war. Und dann mußte man sterben sehen. Wissen Sie, daß es Leute gibt, die sich weigern zu sterben? Haben Sie je eine Frau im Sterben ‚Niemals!‘ schreien hören? Ich schon. Und dann ist mir klar geworden, daß ich mich nicht daran gewöhnen konnte. Ich war jung, und mein Ekel glaubte sich gegen die Weltordnung selbst zu richten. Seitdem bin ich bescheidener geworden. Nur habe ich mich immer noch nicht daran gewöhnt, sterben zu sehen. Mehr weiß ich nicht. Aber schließlich …"
Rieux verstummte und setzte sich wieder. Er merkte, daß sein Mund trocken war.
"Schließlich?" sagte Tarrou leise.
"Schließlich ..", fuhr der Arzt fort, zögerte wieder und sah Tarrou aufmerksam an, "ist es etwas, was ein Mann wie Sie verstehen kann, nicht wahr, aber da die Weltordnung durch den Tod bestimmt wird, ist es für Gott vielleicht besser, daß man nicht an ihn glaubt und mit aller Kraft gegen den Tod ankämpft, ohne die Augen zu diesem Himmel zu erheben, in dem er schweigt."
"Ja, das kann ich verstehen", stimmte Tarrou zu. "Aber Ihre Siege werden immer vorläufig sein, das ist alles."
Rieux schien sich zu verdüstern.
"Immer, das weiß ich. Das ist kein Grund, den Kampf aufzugeben."
"Nein, das ist kein Grund. Aber ich kann mir jetzt vorstellen, was diese Pest für Sie bedeuten muß."

Albert Camus

Grabspruch

Grabspruch

Was weinst du, mitleidvolles Herz

Schau von dem Grabe himmelwärts

Dort glänzet schon nach Schmerz und Noth

des bessren Lebens Morgenroth

 

(Quelle unbekannt)

Dorf

Ein jeder selbst
(1522)

Wir sind alle zum Tode gefordert, und es wird keiner für den andern sterben, sondern jeder muß in eigner Person geharnischt und gerüstet sein, mit dem Tode zu kämpfen. – Wir können wohl einer den andern trösten und zu Geduld, Streit und Kampf ermahnen, aber kämpfen und streiten können wir nicht für ihn, sondern es muß jeder selbst auf seiner Schanze stehn und sich mit den Feinden, dem Teufel und Tode messen, allein mit ihm im Kampf liegen.

Martin Luther

Heine XXXVII

XXXVII.
(Buch der Lieder)

Ich kann es nicht vergessen,
Geliebtes, holdes Weib,
Daß ich dich einst besessen,
Die Seele und den Leib.

Den Leib möcht ich noch haben,
Den Leib so zart und jung;
Die Seele könnt ihr begraben,
Hab‘ selber Seele genug.

Ich will meine Seele zerschneiden,
Und hauchen die Hälfte dir ein,
Und will dich umschlingen, wir müssen
Ganz Leib und Seele seyn.

Heinrich Heine

Letzte Wache – Georg Heym

Letzte Wache

Wie dunkel sind deine Schläfen
Und deine Hände so schwer,
Bist du schon weit von dannen
Und hörst mich nicht mehr?

Unter dem flackernden Lichte
Bist du so traurig und alt,
Und deine Lippen sind grausam
In ewiger Starre gekrallt.

Morgen schon ist hier das Schweigen,
Und vielleicht in der Luft
Noch das Rascheln der Kränze
Und ein verwesender Duft.

Aber die Nächte werden
Leerer nun, Jahr um Jahr,
Hier, wo dein Haupt lag und leise
Immer dein Atem war.

Georg Heym

Schliesse mir die Augen beide

Schließe mir die Augen beide

Schließe mir die Augen beide
Mit den lieben Händen zu!
Geht doch alles, was ich leide,
Unter deiner Hand zur Ruh.
Und wie leise sich der Schmerz
Well um Welle schlafen leget,
Wie der letzte Schlag sich reget,
Füllest du mein ganzes Herz.

Theodor Storm