Abschied vom Grabe des Fang Guan

Abschied vom Grabe des Fang Guan

Einsam das Grab, an dem das Pferd gezügelt
in fremdem Land: denn wieder heißt es scheiden.
Von frischen Tränen bleibt kein Fleck verschont,
im niedern Himmel Wolkenfetzen treiben.

Der einst mit einem Xie An Schach gespielt,
bringt einem Xu Jun das begehrte Schwert:
allein er sieht des Haines Blüten fallen,
Pirole er zum Abschied zwitschern hört.

Du Fu

“Ewige Sehnsucht” (I)

"Ewige Sehnsucht" (I)

Die ewige Sehnsucht
gilt dir in Chang’ an.

Wenn im Herbste die Grillen
auf goldenem Brunnengeländer klagen,
der erste Reif frösteln macht
nachts auf der kalten Matte,

die einsame Lampe trübe flackert,
das Verlangen ins Unerträgliche wächst,
öffne den Vorhang ich, schau auf den Mond –
ein tiefer, vergeblicher Seufzer!

Die schön ist wie eine Blume,
weiß ich am anderen Ende der Wolken.
Oben des Himmels unendliches Blau,
unten des Wassers durchsichtige Wellen.
Ausladend der Himmel, weitläufig die Erde,
wie schwer wird der Seele ihr Flug!
Die Träume selbst tragen nicht
über die Berge und Pässe!

Die ewige Sehnsucht
bricht mir das Herz.

Li Bo

L’epitaphe Villon

L’epitaphe Villon

Freres humains qui après nous vivez,
N’ayez les cuers contre nous endurcis,
Car, se pitié de nous povres avez,
Dieu en aura plus tost de vous mercis.
Vous nous voiez cy attachez cinq, six:
Quant de la chair, que trop avons nourrie,
Elle est pieça devorée et pourrie,
Et nous, les os, devenons cendre et pouldre.
De nostre mal personne ne s’en rie;
Mais priez Dieu que tous nous vueille absouldre!

Se freres vous clamons, pas n’en devez
Avoir desdaing, quoy que fusmes occis
Par justice. Toutesfois, vous sçavez
Que tous hommes , n‘ont pas bon sens rassi;
Excusez nous, puis que sommes transsis,
Envers le fils de la Vierge Marie,
Que sa grace ne soit pour nous tarie,
Nous preservant de l‘ifernale fouldre.
Nous sommes mors, ame ne nous harie;
Mais prie Dieu que tous nous vueille absouldre!

François Villon

 

 

Ballade von den Gehenkten

Ihr Menschenbrüder, die ihr nach uns lebt,
verhärtet euer Herz nicht gegen unsre Pein.
Denn wenn erbarmend ihr den Blick zu uns erhebt,
wird Gott euch desto eher gnädig sein.
Hier seht ihr uns gehenkt, zu sechst und siebt,
und unser Fleisch, zu wohlgenährt, zu sehr geliebt,
ist längst verfault, verwest und abgefallen schon.
Zu Staub und Asche modert unser dürr Gebein.
Drum spottet unser nicht, spart euern Hohn
und bittet Gott, er möge uns verzeihn.

Wenn wir euch Brüder heißen, zürnt uns bitte nicht.
Ihr seht im Wind uns baumeln hier am Hochgericht.
So wisset denn: es traf uns der verdiente Lohn.
Gedenkt, nicht jeder kann gesetzten Sinnes sein.
Legt Fürbitt ein für uns bei Gottes hehrem Sohn,
daß seine Huld und Gnade uns nicht sei verloren
und uns bewahre vor des Höllenpfuhles Pein.
Tot sind wir, und die Toten läßt man ungeschoren.
Doch bittet Gott, er möge uns verzeihn.

Übertragung: Walter Widmer

Epigrafe

Epigrafe

Quando partisti, come è nostra usanza,
inzepparono la cassa dei tuoi piccoli oggetti cari.

Ti misero l’ombrellino da sole
perché andavi in un torrido regno
e ti vestirono di bianco.
Eri ancora una bambina,
una bambina difficile a crescere.
Pure fosti accolta con rassegnata dolcezza,
custodita e portata alla luce
come matura la spiga in un campo esausto.
Io ricordo, sorella, il tuo pigolío
quando ti chiudevi a piangere sulla loggia
perché volevi andare sul tetto a stare.
Eri felice soltanto se potevi sollevarti un poco da terra.

Ti misero nella cassa gli oggetti piú cari,
perfino una monetina d’oro nella mano
da dare al barcaiolo che ti avrebbe accompagnata
all’altra riva. Noi restammo di qua
nella grande casa che tu sapevi rivoltare come un sacco.
Per un po’ di giorni nessuno ebbe voglia di riassettarla.
Ci raccogliemmo intorno al camino
pensando al tuo grande viaggio,
alIa tristezza di mandarti sola in un paese sconosciuto.
La nonna stava ad aspettarci da anni.
Da anni nessuno di noi era stato chiamato.
NelI’immensa plaga, in quella lunga quarantena
come avete fatto a riconoscervi?

Ti avevamo messo dentro la cassa gli oggetti piú cari,
il tuo ombrellino, il tuo pettine, un piccolo mazzo di fiori.
Mia madre ti seguiva ad ogni tappa, dalla casa
alla chiesa, dalla chiesa al cimitero.
Dava ricetto nella sua stanza ad ogni farfalla,
e tenne per lungo tempo la casa aperta
nella speranza che tu potessi tornare.

Un giorno una donna venne a bussare alla porta,
a dirci che ti aveva sognata.
La donna aveva una bimba malata, una tua compagna,
e tu l’avevi visitata.
Parlasti in sogno a quella donna, chiedesti qualcosa
che ella non sapeva: perché non sentiva in sogno
e tu parlavi e pareva che chiedessi una cosa
che nella confusione del distacco era stata dimenticata.
Mia madre rovistò tra le tue carte,
stette a lungo a cercare i tuoi quaderni a uno a uno.

Guardammo per l’ultima volta
la tua scrittura tenera, il tuo esile nome
scritto dalla tua piccola mano.
Furono legati con un nastro bianco i tuoi quaderni
che avevamo dimenticati. La bambina te li avrebbe portati.
Aggiustammo i tuoi quaderni nella cassa
della compagna che tu avevi prediletta.
Anch’essa venne vestita di bianco
nell torrido regno da cui nessuno è mai tornato.

Leonardo Sinisgalli

Elias Canetti

Der Sterbende nimmt die Welt mit. Wohin?

Elias Canetti

Menschliches Elende

Menschliches Elende

Was sind wir Menschen doch! Ein Wohnhaus grimmer Schmerzen,
Ein Ball des falschen Glücks, ein Irrlicht dieser Zeit,
Ein Schauplatz herber Angst, besetzt mit scharfem Leid,
Ein bald verschmelzter Schnee und abgebrannte Kerzen.

Dies Leben fleucht davon wie ein Geschwätz und Scherzen.
Die vor uns abgelegt des schwachen Leibes Kleid
Und in das Totenbuch der großen Sterblichkeit
Längst eingeschrieben sind, sind uns aus Sinn und Herzen.

Gleich wie ein eitel Traum leicht aus der Acht hinfällt
Und wie ein Strom verscheußt, den keine Macht aufhält,
So muß auch unser Nam, Lob, Ehr und Ruhm verschwinden.

Was itzund Atem holt, muß mit der Luft entfliehn,
Was nach uns kommen wird, wird uns ins Grab nachziehn.
Was sag ich? Wir vergehn wie Rauch vor starken Winden.

Andreas Gryphius

Der Tod wird kommen

Der Tod wird kommen
(1951)

Der Tod wird kommen und deine Augen haben,
dieser Tod, der uns begleitet
von morgens bis abends, schlaflos,
dumpf, wie ein alter Gewissensbiß
oder ein törichtes Laster. Und deine Augen
werden ein leeres Wort sein,
ein verschwiegener Schrei, ein Schweigen.
So siehst du sie jeden Morgen,
wenn du dich über dich neigst, mit dir allein
im Spiegel. O teuere Hoffnung,
an jenem Tage werden auch wir es wissen,
daß du das Leben bist und das Nichts.

Für alle hat der Tod einen Blick.
Der Tod wird kommen und deine Augen haben.
Das wird sein wie das Ablegen eines Lasters,
wie wenn man ein totes Gesicht
wieder auftauchen sieht im Spiegel,
oder auf eine verschlossene Lippe horcht.
Wir werden stumm in den Strudel steigen.

Cesare Pavese

Gedicht Paul Celan Dein

Dein

Dein
Hinübersein heute Nacht.
Mit Worten holt ich dich wieder, da bist du,
alles ist wahr und ein Warten auf Wahres.

Es klettert die Bohne vor
unserm Fenster: denk
wer neben uns aufwächst und
ihr zusieht.

Gott, das lasen wir, ist
ein Teil und ein zweiter, zerstreuter:
im Tod
all der Gemähten
wächst er sich zu.

Dorthin
führt uns der Blick,
mit dieser
Hälfte
haben wir Umgang.

Paul Celan

Gedicht Paul Verlaine Chanson d‘automne

Chanson d‘automne

Les sanglots longs
Des violons
De l’automne
Blessent mon coeur
D’ une langueur
Monotone.

Tout suffocant
Et blême, quand
Sonne l‘ heure,
Je me souviens
Des jours anciens
Et je pleure;

Et je m’en vais
Au vent mauvais
Qui m’ emporte
DeV à, delà,
Pareil à la
Feuille morte.

Paul Verlaine

Herbstlied

Seufzer gleiten
Die saiten
Des herbsts entlang
Treffen mein herz
Mit einem schmerz
Dumpf und bang.

Beim glockenschlag
Denk ich zag
und voll peinen
An die zeit
Die nun schon weit
Und muss weinen.

Im bösen winde
Geh ich und finde
Keine statt…
Treibe fort
Bald da bald dort –
Ein welkes blatt.

Übertragung: Stefan George

Gedicht Çet Necatigil In den Büchern sterben

In den Büchern sterben

Name, Vorname
Klammer auf
Das Geburtsjahr, Strich, das Todesjahr, aus
Klammer zu.

Nun ist er in den Büchern ein Name, ein Vorname
In Klammern sein Geburts- und Todesjahr.

Gegen Ende der Seite oder etwas weiter unten
Seine Werke, Erscheinungsjahre
Eine kurze, lange Liste.
Wie Vögel im Todeskampf die Buchtitel in euren Händen.

Der Strich zwischen den beiden Klammern
Er bedeutet alles
Seine Hoffnung, seine Angst, seine Tränen, seine Freude
Er bedeutet alles.

Nun ist er in den Büchern
Gefangen durch einen Strich;
Lebt er noch: er kann sich nicht wehren,
Sie können ihn töten.

Çet Necatigil
(Übertragung: Yüksel Pazarka)