Gedichte, Lieder, Märchen und andere Prosa
I. Abschiede
Else Lasker-Schüler, Ich weiß
Thomas Mann, Joseph in Ägypten
William Shakespeare, Sonnet XXX/XXX. Sonett
Simone de Beauvoir, Ein sanfter Tod
Sappho von Mytilene, Lied
Alfred de Musset, Sur une morte/Auf eine Todte
Du Fu, Abschied vom Grab des Fang Guan
Anonym, Lateinische Grabinschrift
Anachreon von Teos, Eine Richtung
Joseph von Eichendorff, Im Alter
Theodor Storm, Schließe mir die Augen
Kurt Tucholsky, Mutterns Hände
Georg Heym, Letzte Wache
Heinrich Heine, XXXVII. Buch der Lieder
Ossip Mandelstam, Wie kann ich
Cet Necatigil, In den Büchern sterben
Leonardo Sinisgalli, Epigrafe/Inschrift
Afrikanisches Märchen, Im Dorf der Verstorbenen
II. Fragen oder die Suche nach Übergängen
Elias Canetti, Wohin
Albert Camus, Die Pest
Tibetanisches Totenbuch, Des Todes Boten
Paulus, Erster Brief an die Korinther
Martin Luther, Ein jeder selbst
Koran, 27. Sure
Simonides von Keos, Vergeblich
Aus dem Shi-King, Gebet an die Ahnen
Semonides v. Amorgos, Mein Rat
Friedrich Schiller, Nänie
Plato, Phaidon
Fazil Hünsü Daglarca, Ode an die Wiedererstandenen
Eugéne Ionesco, Tagebuch
Joachim Ringelnatz, Was dann?
William Shakespeare, Sonnet LXVI/LXVI.Sonett
Andreas Gryphius Menschliches Elende
Paul Verlaine, Chanson d’automne/Herbstlied
J. Wolfgang v. Goethe, Kaleidoskop
Elias Canetti, Alles
Friedrich Hölderlin, Hyperion
III. Fragen oder die Suche nach Lebenswegen
Bertold Brecht, Inschrift auf einem nicht abgeholten Grabstein
Friedrich Hölderlin, Lebenslauf
William Shakespeare, Sonnet XI/XI. Sonett
Erich Kästner, Ein alter Mann geht vorüber
Theodor Fontane, Ausgang
J. Wolfgang v. Goethe, Kleiner Ring
Andreas Gryphius, An sich selbst
Joachim Ringelnatz, Versöhnung
Theodor Fontane, Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland
Pierre de Ronsard, De l’élection de son sepulchre/Wie ich mir
mein Grab wünsche
J. Wolfgang v. Goethe, Hermann und Dorothea
Matthias Claudius, Der Mensch
G. Ephraim Lessing, Das Gleichnis von den drei Ringen
Aus dem Shintoismus, Gebet an die Ahnen
Friedrich Hölderlin, Hälfte des Lebens
H. Christian Andersen, Der alte Grabstein
IV. Gesungene Erinnerungen
Paul Celan, Psalm
Yaha Kemal Beyatli, Der Tod der Weisen
Bertold Brecht, Ballade in der Stunde der Entmutigung
William Shakespeare, Sonnet LXXXI/LXXXI. Sonett
C. Ferdinand Meyer, Schillers Bestattung
Carl Zuckmayer, Totenlied für Klabund
Hermann Hesse, Nachruf
Alfred de Musset, Tristesse/Trauer
Georg Britting, Hektor und Achill (I)
Ossip Mandelstam, Gruß
Reiner Kunze, Zuflucht noch hinter der Zuflucht
Rhan Veli Kanik, Grabinschrift
V. Kurzweil ist des Toten Wanderschaft
Novalis, Trost
Friedrich Hebbel, Am vierten Sonntag nach Ostern
J. Wolfgang v. Goethe, Wandrers Nachtlied
J. Wolfgang v. Goethe, Wege
Hit Sitki Taranci, Nach dem Tod
Alfred Döblin, Manas
Jean Cocteau, Vom Tod
Rainer Maria Rilke, Herbst
Friedrich Hölderlin, Stammbuchblatt für einen Unbekannten
Wang Wei, Gegangen
Melih Cevdet Anday, Brief von einem toten Freund
VI. Sprechend Verstummen
Paul Celan, Stehen im Schatten
Bertold Brecht, Ich beginne zu sprechen vom Tod
Else Lasker-Schüler, Mein Sterbelied
Yuan Zhen, Elegie (II)
Euripides Monolog der Hekuba
Hermann Hesse Klage
Ingeborg Bachmann Lieder von einer Insel
W.H. Auden, Klage
Rose Ausländer, Der Brunnen
Paul Celan, Todesfuge
VII. Schatten Welten
Afrikanisches Märchen, Laeja und Lingeo
Thomas Bernhard, Anruf
Charles Baudelaire, La mort des artistes/Der Tod der Künstler
L. S. Boethius v. Rom, Grabinschrift auf seine erste Frau, Helpes
Bakchylides v. Keos, Pleuro
Hermann Hesse, Traurigkeit
François Villon, L’épitaphe Villon/Ballade von den Gehenkten
Paul Celan, Dein
Else Lasker-Schüler, Klein Sterbelied
Persisches Märchen, Der Engel des Todes
VIII. Kreuzwege oder die Suche nach dem gültigen Wort
Ossip Mandelstam, In Weite
Theognis v. Megara, Wahrheit
Cesare Pavese, Der Tod wird kommen
Jean Améry, Hand an sich legen
Friedrich v. Schiller, Hoffnung
Li Bo, „Ewige Sehnsucht“ (I)
William Shakespeare, Sonnet LXXII/LXXII. Sonett
Bertold Brecht, Lobgesang nach: Befiehl du deine Wege
Friedrich v. Schiller, Breite und Tiefe
Andreas Gryphius, Am Ende
Matthias Claudius, Wir pflügen und wir streuen
Elio Filippo Accrocca, Anche i alberi un tempo erano croci/
Auch die Bäume waren einmal Kreuze
Robert Desnos, L’épitaphe/Epitaph
J. Gottfried Keller, Ein Traum ist unser Leben
Afrikanisches Märchen, Kallondji erweckt Tote
Editorische Notiz
Autorenverzeichnis
Literaturhinweise
Vorwort
Was bedeutet der Tod für uns Menschen, was bedeutet er uns heute? Die Frage ist in ihrer Komplexität unerschöpflich. Sie zielt einerseits auf den Kern menschlicher Existenz, denn der Frage nach dem Tod unterliegt die Frage nach dem Leben, dessen Teil er ist: Sie berührt so alle philosophischen oder theologischen Argumentationen, Leben nicht nur aus sich selbst heraus zu definieren. Andererseits zielt sie auf eine konkrete, historisch und gesellschaftlich bedingte Auseinandersetzung mit der Tiefe des Geheimnisses, das der Bedeutung von Leben und Tod innewohnt.
Alle Zivilisationsmodelle beinhalten so neben theologischen oder existenz-philosophischen Sinnstiftungen zum Zyklus aus Leben und Tod, aus Werden und Vergehen, immer auch eine literarisch soziale Annäherung an dieses Geheimnis. Eine Annäherung durch die Verbindung von Ritual und Kunst, die das Geheimnis der Existenz nicht vorgibt zu lösen, sondern es zu umschreiben versucht, in der Erkenntnis, mit der Endlichkeit menschlicher Existenz nur leben lernen zu können.
Zu unseren heutigen Erfahrungen mit Tod und Sterben habe ich sehr widersprüchliche Wahrnehmungen. Auf einer Wirklichkeitsebene existiert in unseren virtuellen Bilderwelten eine beinahe schon banale Allgegenwart des Todes. In den Nachrichten gerinnen Tod und Sterben zu abstraktem Zahlenmaterial. Die Qualität des Ereignisses, sprich der sogenannte Nachrichtenwert, beruht in seiner quantitativen Dimension. Wie vieler Toten bedarf es, daß aus den Verstorbenen auch eine Nachricht wird? Was war an dem tragischen Unfall von Eschede das Berichtenswerte? Die große Anzahl der Toten? Daß selbst die sicherste Technik eben doch Sicherheitsrisiken, in sich birgt, weil es Menschen Werk bleibt? Die Reduzierung einer solchen Katastrophe zu scheinbar objektiven Fakten – wer entscheidet über jeweilige Bedeutung, sprich, was der Deutung bedarf – blendet jedenfalls zwei Gefühlswelten aus: Haben wir eine Vorstellung über das Sterben dieser Menschen im Zug? Lassen wir es zu, uns die Schmerzen, die Gefühle – Widerstand und Wut, Abschiede, Verzweiflung, Hingabe an das Unausweichliche – überhaupt vorzustellen, wenn auch als untauglichen Versuch? Wie sonst können wir mitfühlen? Warum die mediale Präsenz des Todes, wenn es nicht um Mitgefühl und eine daraus resultierende Bewußtheit geht?
Ähnliches gilt auch im Verhältnis zu den mittelbaren Opfern, den Hinterbliebenen. Sie sind zwar Teil des Ereignisses, denn die nachrichtliche Verwertung braucht Bilder. Sie unterliegen dabei einem unausgesprochenen Tabu: Gefühle sind zu beherrschen. Trauer und Schmerz um den Verlust eines Menschen, Verzweiflung, Ohnmacht und Leere dürfen nicht ausbrechen, stellt sich doch dann die Frage nach der Teilnahme des Gegenüber. Von Überlebenden und Hinterbliebenen wird erwartet, daß sie ihre Gefühle ‘führen’ wie das Schauspieler auf der Bühne tun. ‘Ungeführte’ Gefühle taugen nicht für die Öffentlichkeit. Dafür sind Spezialisten zuständig, Psychiater und Therapeuten. Solche existentiellen Krisen und die damit verbundenen Emotionen werden in der direkten Bedeutung des Wortes „hinter verschlossenen Türen behandelt.“ Warum eigentlich?
Die virtuelle Abstrahierung des Todes, des Sterbens wird noch deutlicher, wenn man sich anschaut, wie in der Regel in Serien, Video- und Fernsehfilmen gestorben wird: Einerseits wird Sterben in pseudo-realistischer Drastik dramatisiert, andererseits
werden Gefühlsebenen sei es des Sterbenden, sei es der Hinterbliebenen verkleinert. Salopp formuliert, alle Figuren haben immer alles im Griff: Die Sterbenden ihr Sterben, die Trauernden ihre Trauer und so weiter. Beide Effekte, Dramatisierung und Banalisierung, haben ihre Ursache in der, den Medien ureigenen Beschleunigungs-mechanik. Wenn der Take des Sterbenden länger als 15 Sekunden dauert, wird bereits eine zentrale dramaturgische Regel verletzt – Fesselung des Zuschauers durch Beschleunigung. Er darf nicht zur Besinnung kommen, denn sonst könnte er ja seine Freiheit mißbrauchen und den Knopf drücken.
Ein Stück wie die „Troerinnen“ des Euripides wäre – mal abgesehen davon, daß es das Sterben im Krieg, die barbarische Logik des Krieges in seltener Konsequenz ausschließlich aus der Sicht der Opfer erzählt – unter heutigen medialen Strukturen schon deshalb ohne Erfolgschancen, weil es einfach zu lange dauert. Da wartet eine Gruppe Trojanischer Frauen nach der Zerstörung Trojas auf den Tod. Die Griechen als Sieger verfolgen die Logik, daß nur die völlige Ausrottung der Trojaner die Spirale von Gewalt und Gegengewalt – sprich die Angst vor Vergeltung – beenden kann. Diese Frauen, die da auf den Tod warten, für sie ist die Gewißheit des Sterben müssens konkret geworden. Sie personifizieren dabei sehr unterschiedliche Weisen, mit dieser unausweichlichen Situation umzugehen: Kämpfen bis zur letzten Sekunde; unversöhnliche Bitterkeit, grenzenlose Verzweiflung; ein sich ins Schicksal ergeben, das an Hingabe grenzt; opportunistischer Pakt mit den Siegern, um das eigene Überleben zu sichern und der hilflose Versuch sich selbst zu opfern, um andere zu retten. Die Geschichten dieser Figuren, ihre Gefühlswelten adäquat erzählt, verlangt eine Zeitspanne von drei bis vier Stunden.
Diese andere Definition von Zeit, weil sie nicht an technische Vorgänge, sondern an menschliche Prozesse gebunden ist, materialisiert sich durch die Anwesenheit von Menschen auf der Bühne. Sie spielen zwar, aber der Zuschauer fühlt ihre Körperlichkeit, ihr sinnliches Wesen spricht die eigenen Sinne an. Um beim Beispiel der „Troerinnen“ zu bleiben, ihre konkrete Gewißheit des Sterben müssens kristallisiert eine Projektionsfläche, die den Zuschauer mit dem eigenen Bewußtsein seines Sterben müssens konfrontiert.
Diese ureigene Definition menschlicher Existenz, das Leben mit und in der bewußten Gewißheit der eigenen Endlichkeit, ist einerseits die Basis der Entwicklung von Individualität, denn erst dieses Wissen schafft eine Begrenzung, innerhalb derer sich der besondere Wert, die Unaustauschbarkeit des Einzelnen entwickeln kann. Andererseits ist dieses Wissen Kern unseres menschlichen Dramas: Wir sind zwar Schöpfer unserer eigenen Existenz, doch ist diese Macht über uns selbst nur eine relative; Den entscheidenden Faktor unseres Seins, daß wir mit dem Beginn unseres Lebens auch zu sterben beginnen, können wir nicht außer Kraft setzen.
Die Beherrschbarkeit des Todes aber suggerieren uns nicht nur die oben beschriebenen virtuellen Welten. Im Wesentlichen konzentrieren sich die Fortschrittsvorstellungen der industrialisierten Zivilisationen auf die Ausdehnung der Gegenwart. Da der Tod trotz aller medizinisch-technischer Entwicklung, trotz Gen-Biologie nicht besiegbar ist, wird das Sterben in eine möglichst ferne und damit abstrakte Zukunft hinaus geschoben. Keine Frage, jeder will möglichst lange leben!
Doch was bedeutet in diesem länger werdenden Leben die Gewißheit des Sterben müssens?
Ausdehnung der Gegenwart meint eine spezifische Definition von Zeit – sie unterscheidet sich z.B. fundamental von der des Mittelalters oder der Renaissance -, die sich vielfältig in sozialen und kulturellen Lebensgewohnheiten wiederspiegelt: Zu dieser Dominanz der Gegenwart gehören als Beispiel die Verschiebungen innerhalb der biographischen Entwicklungsstufen. So hat sich die Phase der Jugendlichkeit in beide Richtungen ausgedehnt. Sie beginnt einerseits immer früher und dehnt sich andererseits immer weiter ins Erwachsenen Leben aus. Vereinfacht ausgedrückt, zwischen fünfzehn und fünfundvierzig dominiert ein Lebensstil; dazu gehören nicht nur entsprechende öffentliche Wertvorstellungen, durch Werbung, Mode etc. transportiert, sondern auch die großen Anstrengungen, die viele auf sich nehmen, um ihren Körpern durch Body building, Operationen und Chemie zu einem möglichst jugendlichem Aussehen zu verhelfen. Interessant dabei der Begriff „building“, als wäre der Körper ein Objekt, das sich funktional gestalten ließe.
Zu dieser sozialen und kulturellen Dominanz der Gegenwart gehört – wie ineinander verwobene Prozesse – die fortschreitende Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Erst der ganz in der Gegenwart aufgegangene Mensch – Vergangenheit und Zukunft sind am Horizont entschwunden – kann sich einer ökonomischen Funktionalität unterwerfen, die außerhalb ihrer eigenen Begrifflichkeit keine weiteren individuellen oder gesellschaftlichen Sinn- und Existenzvorstellungen mehr vorsieht.
Nichts läßt sich jedoch weniger ökonomischer Rationalität unterwerfen als der Tod, ausgenommen vielleicht die Sexualität. Ist sie doch der anarchische Lebenstrieb, der uns noch am ehesten eine Vorstellung unserer Endlichkeit vermittelt. Ihre dunklen Seiten machen uns jedenfalls mit dem Tod bekannt.
Wenn sich Leben als ein Prozeß des Werdens und Vergehens, als eine Verflechtung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft darstellt, deren unabänderlicher Bestandteil auch der Tod ist, impliziert unsere heutige Sprachlosigkeit Leben und Tod gegenüber dann nicht die verdrängte Einsicht, daß sie sich unserem Willen nicht beugen?
Das sind die Fragen und Überlegungen, die mich bei der Auswahl der hier zusammengestellten Texte geleitet haben. Es ging mir darum, in einem breiten historischen Spektrum verschiedener Kulturen und Literaturen Annäherungen an Tod und Sterben – wie sie den Blick der Lebenden auf die eigene Existenz beeinflussen – nachzuzeichnen. Es liegt im Wesen dieser Annäherungen, der Tod ist ein Schatten und niemand ist aus dem Reich der Schatten zurückgekehrt , daß sie sich nur in Gleichnissen formulieren lassen. Daher erklärt sich auch, daß die europäischen Literaturen seit 3.500 Jahren für diese Annäherungen die Form der gebundenen Sprache, das Gedicht, bevorzugt haben.
Dabei war die künstlerische Befragung des Kreises von Leben und Tod in Wort, Bild und Ton immer auch von der Frage begleitet: Was überdauert die Endlichkeit der eigenen Existenz? Ein produktiver Widerspruch läßt sich dabei nachzeichnen: Es sind die selbstvergessenen Annäherungen an die Grenze menschlichen Lebens, das manchmal verzweifelte, demütige, zynische, weise, schweigende und schreiende
Wissen um die Unausweichlichkeit des Todes, die Kunstwerke geschaffen haben, welche ihre Schöpfer lange überdauerten.
Es ist die Kunst, als die Verdichtung des Lebens, über die der Tod keine Macht hat. In ihrer Immaterialität ist sie ein emotionales Gedächtnis, das solange es von Generation zu Generation weitergereicht wird, unabhängig von körpergebundenen Existenzformen existieren kann.
Im Kapitel Abschiede finden sich Texte, über den erlebten Tod. Welche Spuren hinterläßt der erfahrene Tod unter den Lebenden? Wie teilen die Sterbenden ihr Leben und Sterben den Zurückbleibenden mit? Wie verabschieden sich die Lebenden von den Sterbenden? Wie artikulieren sich Schmerz und Verlust, wenn sie als Teil des Lebens angenommen?
Fragen oder die Suche nach Übergängen beschäftigt sich mit Versuchen durch die Formulierung eines Existenz unabhängigen Sinns dem Tod seinen Schrecken zu nehmen. Leben und Tod in eine harmonische Balance zu stellen. Wie begegnet der Lebende dem Tod? Tod als Vollzug des göttlichen Willens? Der Tod als Pforte zu einer anderen Form der Existenz? Tod als Ziel oder aber als lästiger Unfall?
Fragen oder die Suche nach Lebenswegen stellt das vorherige Kapitel in gewisser Weise vom Kopf auf die Füße. In verschiedenen Facetten ranken sich die hier versammelten Texte um den Versuch, dem Tod keinen anderen Sinn, als dem des Lebens zu geben. Leben ist nur Leben, weil es auch den Tod beinhaltet. Der Lebende ist auch ein Sterbender, er lernt zu leben, in dem er zu sterben lernt. Wie entwickelt und verändert sich Welt- und Lebenserfahrung im Bewußtsein des Sterben müssens? Was bleibt vom Leben im Sterben ohne die Hoffnung auf eine jenseitige Existenz?
Gesungene Erinnerungen feiern die Toten in ihrer emotionalen Präsenz im Gedächtnis der Lebenden. In gleichnishafter Weise formulieren die hier versammelten Texte Hinterlassenschaften. Wobei die Perspektive zwischen Verlassenen und Hinterlassenden wechselt. Vielleicht geht es auch um Liebe zwischen Lebenden und Toten, wenn man das so formulieren mag.
Im Kapitel Kurzweil ist des Toten Wanderschaft versammeln sich Texte, die welche die Pforten zwischen Leben und Tod umschreiben. Während die gesungenen Erinnerungen den Tod im Leben betonen, auf der Verbindung zwischen den Lebenden und den Toten bestehen, geht es hier um ‘loslassen’. Die Trennung ist vollzogen und wird als notwendige Konsequenz akzeptiert.
Sprechend verstummen nun Texte um den unversöhnlichen, den grausamen Tod. Es sind Klagen und Beschwörungen, die im Halse stecken bleiben. Mord, als unfaßbare, ungerechte Form des Todes, die Menschen anderen Menschen zufügen.
In Schattenwelten sprechen die Toten zu den Lebenden. Sie sind noch nicht fertig mit dieser Welt, mit ihrer vergangenen Existenz. Und manche der Lebenden antworten, aber ohne die Sprache der Toten zu verstehen, naturgemäß. Ein Kapitel über mannigfache Mißverständnisse.
In Kreuzwege oder die Suche nach dem gültigen Wort schließt sich der Kreis. Die Suche nach dem gültigen Wort bleibt Suche, auch wenn sie die Entfaltung von Menschlichkeit impliziert. Sie weiß, jede Versöhnung bleibt eine vorläufige, auch wenn sie des Wortes bedarf, und muß schon morgen neu erstritten werden.
Natürlich sind die hier angedeuteten Zugänge sehr persönliche Assoziationsfelder und hoffentlich dennoch nachvollziehbar. Die „Pforten der Wahrnehmung“ können und sollen auch aus ganz anderer Richtung durchschritten werden. Es ist eine der Literatur dienlichen Eigenschaften des Internet, daß Sie, interessierter Leser, diese Anthologie auf eigene Weise nutzen können, sei es am Bildschirm, sei es durch Ausdruck der Texte. Dem Medium entsprechend kann und soll sich diese Sammlung auch verändern.
Über Anregungen, Kommentare, Hinweise oder Texte ihrer Wahl, die wir der Anthologie beifügen werden, würde ich mich freuen. Vielleicht wächst hier so ein lebendiges Forum.
Frankfurt am Main, Juli 1998
Emmanuel Bohn
E-Mail: communication@hall-of-memory.com
I. ABSCHIEDE
Ich weiß
(1943)
Ich weiß, daß ich bald sterben muß
Es leuchten doch alle Bäume
Nach langersehntem Julikuß –
Fahl werden meine Träume –
Nie dichtete ich einen trüberen Schluß
In den Büchern meiner Reime.
Eine Blume brichst du mir zum Gruß –
Ich liebte sie schon im Keime.
Doch ich weiß, daß ich bald sterben muß.
Mein Odem schwebt über Gottes Fluß –
Ich setze leise meinen Fuß
Auf den Pfad zum ewigen Heime.
Else Lasker-Schüler
Joseph in Ägypten
(1935)
“Friede sei mit dir!” sprach er. “Ruhe selig, mein Vater, zur Nacht! Siehe, ich wache und sorge für deine Glieder, während du völlig sorglos den Pfad des Trostes dahinziehen magst und dich um nichts mehr zu kümmern brauchst, denke doch nur und sei heiter: um gar nichts mehr! Um deine Glieder nicht, noch um die Geschäfte des Hauses, noch um dich selbst und was aus dir werden soll und wie es sein mag mit dem Leben nach diesem Leben, – das ist es ja eben, daß alles dies und das Ganze nicht deine Sache und Sorge ist und keinerlei Unruhe dich deswegen zu plagen braucht, sondern du’s alles sein lassen kannst, wie es ist, denn irgendwie muß es ja sein, da es ist, und sich so oder so verhalten, es ist dafür bestens gesorgt, du aber hast ausgesorgt und kannst dich einfach betten ins Vorgesorgte. Ist das nicht herrlich bequem und beruhigend? Ist’s nicht mit Müssen und Dürfen heut wie nur jemals, wenn dir mein Abendsegen empfahl, doch ja nicht zu denken, du müßtest ruhen, sondern du dürftest? Siehe, du darfst! Aus ist’s mit Plack und jeglicher Lästigkeit. Keine Leibesnot mehr, kein würgender Zudrang noch Krampfesschrecken. Nicht ekle Arznei, noch brennende Auflagen, noch schröpfende Ringelwürmer im Nacken. Auf tut sich die Kerkergrube deiner Belästigung. Du wandelst hinaus und schlenderst heil und ledig dahin die Pfade des Trostes, die tiefer ins Tröstliche führen mit jedem Schritt. Denn anfangs ziehst du durch Gründe noch, die du schon kennst, jene, die dich allabendlich aufnahmen durch meines Segens Vermittlung, und noch ist einige Schwere und Atemlast mit dir, ohne daß du’s recht weißt, vom Körper her, den ich hier halte mit meinen Händen. Bald aber – du achtest des Schrittes nicht, der dich hinüberführt – nehmen Auen dich auf der völligen Leichtigkeit, wo auch von ferne nicht und auf das unbewußteste eine Mühsal von hier aus mehr an dir hängt und zieht, und allsogleich bist du jeglicher Sorge und Zweifelsnot ebenfalls ledig, wie es sei und sich etwa verhalte mit dir und was aus dir werden solle, und du staunst, wie du dich jemals mit solchen Bedenklichkeiten hast plagen mögen, denn alles ist, wie es ist, und verhält sich aufs allernatürlichste, richtigste, beste, in glücklichster Übereinstimmung mit sich selbst und mit dir, der du Mont-kaw bist in alle Ewigkeit.
Denn was ist, das ist, und was war, das wird sein. Zweifeltest du in der Schwere, ob du dein Olbäumchen finden würdest in drüberen Gefilden? Du wirst lachen über dein Zagen, denn siehe, sie ist bei dir, – und wie sollte sie nicht, da sie dein ist? Und auch ich werde bei dir sein, Osarsiph, der verstorbene Joseph, wie ich für dich heiße, – die Ismaeliter werden mich dir bringen. Immer wirst du über den Hof kommen mit deinem Knebelbart, deinen Ohrringen und mit den Tränensäcken unter deinen Augen, die dir mutmaßlich geblieben sind von den Nächten her, die du heimlich-bescheiden um Beket verweint hast, das Olbäumchen, und wirst fragen: “Was ist das? Was für Männer?” und reden: “Seid so gut! Meint ihr, ich kann euch schwatzen hören die Tage des Rê?” Denn da du Mont-kaw bist, wirst du nicht aus der Rolle fallen und dir vor den Leuten das Ansehen geben, als glaubtest du wirklich, daß ich nichts anderes sei als Osarsiph, der verkäufliche Fremdsklave, da du doch heimlich wissen wirst in bescheidener Ahnung, schon vom vorigen Mal, wer ich bin und welchen Bogen ich hinziehe, daß ich den Weg der Götter, meiner Brüder, bahne. Fahr wohl denn, mein Vater und Vorsteher! Im Lichte und in der Leichtigkeit sehen wir beide uns wieder.”
Thomas Mann
Sonnet XXX
When to the sessions of sweet silent thought
I summon up remembrance of things past,
I sigh the lack of many a thing I sought,
And with old woes new wail my dear time’s waste:
Then can I drown an eye, unused to flow
For precious friends hid in death’s dateless night,
And weep afresh love’s long since cancell’d woe,
And moan the expense of many a vanish’d sight:
Then can I grieve at grievances foregone,
And heavily from woe to woe teIl o’er
The sad account of fore-bemoaned moan,
Which I new pay as if not paid before.
But if the while I think in thee, dear friend,
All losses are restored and sorrows end.
William Shakespeare
XXX. Sonett
Wenn ich in schweigender Gedanken Rat
Erinnrung des Vergangnen traulich lade,
Beseufzend was entflohn mir nie mehr naht,
Neu klagend alte Weh’n versunkner Lebenspfade:
Dann netz’ ich wohl versiechte Augenlider
Um teure Freund’ in Todesnacht gehüllt;
Es weinen, längst erstickt, der Liebe Schmerzen wieder,
Der Gram um manch dahingeschwunden Bild.
Dann kann ich leiden um vergangnes Leid,
Die trübe Summe vorbeklagter Klagen
Von Weh zu Weh ziehn mit Betrübsamkeit,
Sie zahlend wie noch niemals abgetragen.
Doch, teurer Freund! gedenk’ ich dein dabei,
Ersetzt ist alles, und ich atme frei.
Nachdichtung:
Ein sanfter Tod
(1964)
Sie glaubte an den Himmel; doch trotz ihres Alters, ihrer Gebrechen und Beschwerden war sie ungestüm der Erde verhaftet und empfand vor dem Tode ein animalisches Grauen.
Meiner Schwester hatte sie von einem Alptraum erzählt, der immer wiederkehrte: “Ich werde verfolgt, ich laufe und laufe und stoße gegen eine Mauer; ich muß über diese Mauer springen und weiß nicht, was dahinter ist; ich habe Angst. Der Tod selbst erschreckt mich nicht: ich habe Angst vor dem Sprung”, hatte sie zu meiner Schwester gesagt. Als sie auf dem Fußboden kroch, glaubte sie, der Augenblick für den Sprung sei gekommen. (…)
Am Sonntag hatte sie mittags Kartoffelpüree gegessen, das nicht durchgekommen war (in Wirklichkeit hatten die eintretenden Metastasen sie geschwächt), und im Wachzustand einen langen Alptraum gehabt: “Ich lag in einem blauen Tuch über einem Loch”, erzählte sie. “Deine Schwester hielt das Tuch, und ich bat sie: ‘Laß mich nicht in das Loch fallen’ … ‘Ich halte dich fest, du wirst nicht hineinfallen’, erwiderte Poupette.” Sie hatte die Nacht auf einem Sessel verbracht, und Mama, die sonst immer um ihren Schlaf besorgt war, sagte zu ihr: “Schlaf nicht; laß mich nicht davongehen. Wenn ich einschlafe, dann weck mich: laß mich nicht davongehen, während ich schlafe.” Plötzlich – so erzählte meine Schwester – schloß Mama erschöpft die Augen. Ihre Hände verkrallten sich in die Bettücher und sie rief: “Leben, leben!”(…)
Nachts hatte Mama wieder Alpträume: “Ich werde in einen Kasten gelegt”, sagte sie zu meiner Schwester. “Ich bin da, aber im Kasten. Ich bin ich und doch nicht mehr ich. Männer tragen den Kasten weg!” Sie sträubte sich: “Laß sie mich nicht wegtragen!” Lange ließ Poupette ihre Hand auf Mamas Stirn liegen. “Ich verspreche dir, daß sie dich nicht in den Kasten legen werden.” Sie verlangte eine weitere Dosis Equanil. Als Mama endlich von ihren Visionen erlöst war, fragte sie Poupette: “Was bedeutet das eigentlich, dieser Kasten und diese Männer?” “Das sind Erinnerungen an deine Operation: Krankenpfleger tragen dich auf einer Bahre weg.” Mama schlief ein. Doch am nächsten Morgen lag in ihren Augen die ganze Traurigkeit wehrloser Tiere.
“Ich bin so müde”, seufzte sie. Sie hatte eingewilligt, am Nachmittag Marthes Bruder, einen jungen Jesuiten, zu empfangen. “Soll ich ihm absagen?” “Nein. Deiner Schwester wird es Spaß machen; sie werden sich über Theologie unterhalten. Ich werde die Augen schließen und brauche nicht zu sprechen.” Mittags aß sie nichts. Den Kopf auf die Brust geneigt, schlief sie ein. Als Poupette die Tür aufstieß, glaubte sie, alles sei zu Ende. Charles Cordonnier blieb nur fünf Minuten; er erzählte von den Essen, zu denen sein Vater Mama jede Woche einlud. “Ich hoffe, Sie an einem der nächsten Donnerstage am Boulevard Raspail wiederzusehen.” Sie sah ihn ungläubig und bekümmert an. “Du glaubst also. ich komme wieder hin?”
Niemals hatte ich an ihr eine so unglückliche Miene gesehen: an dem Tage ahnte sie, daß sie verloren war.
Simone de Beauvoir
Lied
(ca. 600 v. Christus)
Erstorben wirst du liegen,
Und niemand wird dein denken,
Niemand zu allen Zeiten:
Denn nie hast du die Rosen
Pieriens berühret.
Unscheinbar wirst du müssen
In Todes Wohnung gehen,
Und niemand wird dich ansehn
Im Heer der dunkeln Schatten.
Sappho von Mytilene
(übertragen von Johann Gottfried Herder)
Sur une morte
Elle était belle, si la Nuit
Qui dort dans la sombre chapelle
Où Michel-Ange a fait son lit,
Immobile, peut être belle.
Elle était bonne, s’il suffit
Qu’en passant la main s’ouvre et donne,
Sans que Dieu n’ait rien vu, rien dit,
Si l’or sans pitié fait l’aumône.
Elle pensait, si le vain bruit
D’une voix douce et cadencée,
Comme le ruisseau qui gémit.
Peut faire croire à la pensée.
Elle priait, si deux beaux yeux,
Tantôt s’attachant à la terre,
Tantôt se levant vers les cieux,
Peuvent s’appeler la priére.
Elle aurait souri, si la fleur
Qui ne s’est point épanouie
Alfred de Musset
Auf eine Todte
Ja, sie war schön, wenn man die Nacht
Schön nennen kann in der Kapelle,
Zu deren kalter Marmorpracht
Nie dringen kann des Tages Helle,
Ja, sie war gut, wenn es genügt,
Almosen im Vorübereilen,
Wie es der Zufall eben fügt,
Und ohne Mitleid auszutheilen.
Sie dachte, – wenn wir bei dem Schall,
Der einer weichen Stimm entquollen
Eintönig wie des Bächleins Fall,
Schon an Gedanken glauben sollen.
Sie betete, wenn Beten heißt:
Daß sich zwei schöne Augensterne
Bald niedersenken wie verwaist,
Bald heben zu der Himmelsferne.
Gelächelt hätte sie – wenn Duft
Aus Blumen, die sich nie erschlossen,
Nachdichtung: Otto Baisch
Abschied vom Grabe des Fang Guan
Einsam das Grab, an dem das Pferd gezügelt
in fremdem Land: denn wieder heißt es scheiden.
Von frischen Tränen bleibt kein Fleck verschont,
im niedern Himmel Wolkenfetzen treiben.
Der einst mit einem Xie An Schach gespielt,
bringt einem Xu Jun das begehrte Schwert:
allein er sieht des Haines Blüten fallen,
Pirole er zum Abschied zwitschern hört.
Du Fu
Lateinische Grabinschrift
Du, dessen Augen die Wohnung des Todes suchend betrachten,
Hemme die Schritte und lies bis zu Ende hier diese Inschrift,
Die ein liebender Vater der teuren Tochter gewidmet,
Wo ihres Leibes Reste nun ruhen ewig gebettet:
Als mir in strahlender Jugend noch frisch die Künste erblühten
Und mich die Jahre entgegenführten den Höhen des Ruhmes,
Nahte sich plötzlich verhängnisvoll die Stunde des Todes,
Und nicht länger sollte ich trinken den Atem des Lebens;
Kundig der Künste – den Musen gefiel es, mich selbst zu belehren –
War ich noch jüngst die Zierde des Chores im Spiele der Edlen
Und als erste trat ich vors Volk in griechischen Stücken;
Nun aber hat mir die feindliche Parze die Asche des Leibes
Mit ihrem Spruche hinabgebannt in das finstere Grabmal.
Meiner Beschützerin Ruhm, das Lob, die Liebe, die Sorge
Schweigen im schlafenden Leib, ein Raub des Todes, der Flammen.
Meinen Vater ließ ich zurück in Trauer und Tränen;
Nach ihm bin ich geboren und vor ihm dennoch gestorben:
In ihr Dunkel verschließt die Wohnung des ewigen Pluto
Zweimal sieben wiedergekehrte Geburtstage mit mir. –
Ziehest du weiter, so sprich: Es sei leicht ihr die Erde!
Übertragung: Carl Fischer
Eine Richtung
(ca. 510 v. Chr.)
Nun sind mir die Schläfen beide grau, das Haupthaar weiß geworden,
Alt die Zähne und der Jugend Wohlgefühl hat mich verlassen.
Deshalb stöhn ich oft und fürchte mich vor Hades’ dunklen Gründen.
Denn dort wohnt das Grauen, mißlich ist der Weg, der in die Tiefe
Leitet, denn er wird in einer Richtung, abwärts nur, begangen.
Anachreon von Teos
(übertragen von Hermann Fränkel)
Im Alter
Wie wird nun alles so stille wieder!
So war mirs oft in der Kinderzeit,
Die Bäche gehen rauschend nieder
Durch die dämmende Einsamkeit,
Kaum noch hört man einen Hirten singen,
Aus allen Dörfern, Schluchten weit
Die Abendglocken herüberklingen,
Versunken nun mit Lust und Leid
Die Täler, die noch einmal blitzen,
Nur hinter dem stillen Walde weit
Noch Abendröte an den Bergesspitzen
Wie Morgenrot der Ewigkeit.
Joseph v. Eichendorff
Schließe mir die Augen beide
Schließe mir die Augen beide
Mit den lieben Händen zu!
Geht doch alles, was ich leide,
Unter deiner Hand zur Ruh.
Und wie leise sich der Schmerz
Well um Welle schlafen leget,
Wie der letzte Schlag sich reget,
Füllest du mein ganzes Herz.
Theodor Storm
Mutterns Hände
Hast uns Stulln jeschnitten
un Kaffe jekocht
un de Töppe rübajeschohm –
un jewischt und jenäht
un jemacht und jedreht…
alles mit deine Hände.
Hast de Milch zujedeckt,
uns Bonbongs zujesteckt
un Zeitungen ausjetragn –
hast die Hemden jezählt
und Kartoffeln jeschält…
alles mit deine Hände.
Hast uns manches Mal
bei jroßen Schkandal
auch’n Katzenkopp jejeben.
Hast uns hochjebracht.
Wir wahn Stricker acht
sechse sind noch am Leben…
alles mit deine Hände.
Heiß warn se un kalt
Nu sind se alt
nu bist du bald am Ende.
Da stehn wa nu hier,
und denn komm wir bei dir
und streicheln deine Hände.
Kurt Tucholsky
Letzte Wache
Wie dunkel sind deine Schläfen
Und deine Hände so schwer,
Bist du schon weit von dannen
Und hörst mich nicht mehr?
Unter dem flackernden Lichte
Bist du so traurig und alt,
Und deine Lippen sind grausam
In ewiger Starre gekrallt.
Morgen schon ist hier das Schweigen,
Und vielleicht in der Luft
Noch das Rascheln der Kränze
Und ein verwesender Duft.
Aber die Nächte werden
Leerer nun, Jahr um Jahr,
Hier, wo dein Haupt lag und leise
Immer dein Atem war.
Georg Heym
XXXVII.
(Buch der Lieder)
Ich kann es nicht vergessen,
Geliebtes, holdes Weib,
Daß ich dich einst besessen,
Die Seele und den Leib.
Den Leib möcht ich noch haben,
Den Leib so zart und jung;
Die Seele könnt ihr begraben,
Hab‘ selber Seele genug.
Ich will meine Seele zerschneiden,
Und hauchen die Hälfte dir ein,
Und will dich umschlingen, wir müssen
Ganz Leib und Seele seyn.
Heinrich Heine
WIE KANN ich die Tote, die Frau nun noch loben?
Sie steht dort in Fremdheit, ist Macht …
Ins Grab, in ein warmes, gewaltsam gezogen
Von seltener Liebe und Kraft.
Gerundete Brauen, beharrlich: zwei Schwalben –
Die flogen vom Sarg her zu mir:
Zu lang schon hätt man sie dort oben gehalten
Im kalten Stockholmer Quartier.
Die Geige der Väter: der Stolz deiner Sippe –
Ihr Hals gab sein Schönsein dir hin,
Du öffnetest lachend die zierlichen Lippen,
Italisches, russisches Kind.
Dein lastendes Bild will ich immer bewahren,
Du Bärenkind, Wildling, Mignon –
Doch Mühlen im Schnee werden Winter erfahren,
Vereist ist dein Horn, Postillion.
Ossip Mandelstam
(Übertragung: Ralph Dutli)
In den Büchern sterben
Name, Vorname
Klammer auf
Das Geburtsjahr, Strich, das Todesjahr, aus
Klammer zu.
Nun ist er in den Büchern ein Name, ein Vorname
In Klammern sein Geburts- und Todesjahr.
Gegen Ende der Seite oder etwas weiter unten
Seine Werke, Erscheinungsjahre
Eine kurze, lange Liste.
Wie Vögel im Todeskampf die Buchtitel in euren Händen.
Der Strich zwischen den beiden Klammern
Er bedeutet alles
Seine Hoffnung, seine Angst, seine Tränen, seine Freude
Er bedeutet alles.
Nun ist er in den Büchern
Gefangen durch einen Strich;
Lebt er noch: er kann sich nicht wehren,
Sie können ihn töten.
Çet Necatigil
(Übertragung: Yüksel Pazarka)
Epigrafe
Quando partisti, come è nostra usanza,
inzepparono la cassa dei tuoi piccoli oggetti cari.
Ti misero l’ombrellino da sole
perché andavi in un torrido regno
e ti vestirono di bianco.
Eri ancora una bambina,
una bambina difficile a crescere.
Pure fosti accolta con rassegnata dolcezza,
custodita e portata alla luce
come matura la spiga in un campo esausto.
Io ricordo, sorella, il tuo pigolío
quando ti chiudevi a piangere sulla loggia
perché volevi andare sul tetto a stare.
Eri felice soltanto se potevi sollevarti un poco da terra.
Ti misero nella cassa gli oggetti piú cari,
perfino una monetina d’oro nella mano
da dare al barcaiolo che ti avrebbe accompagnata
all’altra riva. Noi restammo di qua
nella grande casa che tu sapevi rivoltare come un sacco.
Per un po’ di giorni nessuno ebbe voglia di riassettarla.
Ci raccogliemmo intorno al camino
pensando al tuo grande viaggio,
alIa tristezza di mandarti sola in un paese sconosciuto.
La nonna stava ad aspettarci da anni.
Da anni nessuno di noi era stato chiamato.
NelI’immensa plaga, in quella lunga quarantena
come avete fatto a riconoscervi?
Ti avevamo messo dentro la cassa gli oggetti piú cari,
il tuo ombrellino, il tuo pettine, un piccolo mazzo di fiori.
Mia madre ti seguiva ad ogni tappa, dalla casa
alla chiesa, dalla chiesa al cimitero.
Dava ricetto nella sua stanza ad ogni farfalla,
e tenne per lungo tempo la casa aperta
nella speranza che tu potessi tornare.
Un giorno una donna venne a bussare alla porta,
a dirci che ti aveva sognata.
La donna aveva una bimba malata, una tua compagna,
e tu l’avevi visitata.
Parlasti in sogno a quella donna, chiedesti qualcosa
che ella non sapeva: perché non sentiva in sogno
e tu parlavi e pareva che chiedessi una cosa
che nella confusione del distacco era stata dimenticata.
Mia madre rovistò tra le tue carte,
stette a lungo a cercare i tuoi quaderni a uno a uno.
Guardammo per l’ultima volta
la tua scrittura tenera, il tuo esile nome
scritto dalla tua piccola mano.
Furono legati con un nastro bianco i tuoi quaderni
che avevamo dimenticati. La bambina te li avrebbe portati.
Aggiustammo i tuoi quaderni nella cassa
della compagna che tu avevi prediletta.
Anch’essa venne vestita di bianco
nell torrido regno da cui nessuno è mai tornato.
Leonardo Sinisgalli
Inschrift
Als du fortgingst, stopften sie, wie es bei uns Brauch ist, all deine lieben kleinen Sachen in den Sarg. Sie legten dir den kleinen Sonnenschirm hinein, weil du in ein heißes Reich gingst, und sie kleideten dich in Weiß. Du warst noch ein kleines Mädchen, ein kleines Mädchen, das schwer großzuziehen war. Doch wurdest du mit resignierter Sanftmut aufgenommen, behütet und ans Licht gebracht, so wie die Ähre auf einem erschöpften Feld reift. Ich erinnere mich, Schwester, an dein Gepiepse, wenn du dich zum Weinen auf die Loggia einschlossest, weil du auf das Dach gehen und da bleiben wolltest. Du warst nur glücklich, wenn du dich etwas über die Erde erheben konntest.
Sie legten dir die liebsten Sachen in den Sarg und sogar eine kleine Goldmünze in die Hand, für den Fährmann, der dich ans andere Ufer begleiten würde. Wir blieben diesseits in dem großen Haus, das du wie einen Sack umstülpen konntest. Ein paar Tage lang hatte niemand Lust, es aufzuräumen. Wir versammelten uns um den Kamin, dachten an deine große Reise und daran, wie traurig es war, dich allein in ein unbekanntes Land zu schicken. Die Großmutter wartete da auf uns seit Jahren. Seit Jahren war niemand von uns gerufen worden. In der unermeßlichen Gegend, in jener langen Quarantäne, wie konntet ihr euch da wiedererkennen?
Wir hatten dir die liebsten Sachen in den Sarg hineingelegt, deinen kleinen Sonnenschirm, deinen Kamm, einen kleinen Blumenstrauß. Meine Mutter folgte dir auf jeder Wegstrecke, vom Haus zur Kirche, von der Kirche zum Friedhof. In ihrem Zimmer gab sie jedem Schmetterling Obdach und hielt lange Zeit das Haus offen, in der Hoffnung, du könntest zurückkehren.
Eines Tages kam eine Frau und klopfte an die Tür, um uns zu sagen, daß sie von dir geträumt habe. Die Frau hatte ein krankes Kind, eine Schulfreundin von dir, und du hattest sie besucht. Du sprachst im Traum zu jener Frau, du verlangtest etwas, sie wußte nicht was: weil sie im Traum nicht hörte und du sprachst, und es schien, als ob du etwas verlangtest, was in der Verwirrung des Abschieds vergessen worden war.
Meine Mutter stöberte zwischen deinen Papieren, suchte lange Heft um Heft. Wir betrachteten zum letzten Male deine zarte Handschrift, deinen grazilen Namen, geschrieben von deiner kleinen Hand. Mit einem weißen Band wurden deine Hefte, die wir vergessen hatten, zusammengebunden. Das kleine Mädchen würde sie dir bringen. Wir legten deine Hefte in den Sarg der Schulfreundin, die du am liebsten hattest, zurecht. Auch sie kam in Weiß gekleidet in das heiße Reich, aus dem nie jemand zurückgekehrt ist.
Übertragung: Franco de Faveri/Regine Wagenknecht
Im Dorf der Verstorbenen
Ein Jäger ging mit einem Hund auf die Jagd. Der Hund scheuchte eine Mbambi (Antilopenart) auf. Die Mbambi lief von dannen, der Hund setzte hinterher. Die Mbambi lief in das Dorf der Misiangi (der Verstorbenen). Die Misiangi ergriffen die Mbambi. Sie schnitten den Leib heraus und hängten ihn im Hause über das Feuer. Das Fell und das Übrige hingen sie hinter dem Hause auf. Der Hund lief hinterher. Er kam in das Dorf der Misiangi. Die Misiangi ergriffen ihn. Sie schnitten den Leib heraus und hängten ihn im Haus über das Feuer. Das Fell und das übrige hängten sie hinter dem Hause auf.
Der Jäger kam. Die Misiangi fragten: “Wer bist du?” Der Tschilembi sagte: “Ich bin ein Mensch wie ihr.” Die Misiangi ergriffen den Tschilembi. Sie schnitten den Leib heraus und hängten ihn im Haus über das Feuer. Die Haut und das übrige hängten sie hinter dem Hause auf.
Nach zwei Tagen sagte der Bruder des Jägers zu seinem Vater: “Mein Bruder ging vor zwei Tagen auf die Jagd, er ist nicht zurückgekommen. Ich will sehen, wo er ist.” Der Vater sagte: “Es ist recht.” Der Bruder ging der Spur des Hundes und seines Bruders nach. Er kam in das Dorf der Misiangi. Die Misiangi fragten: “Wer bist du?” Der Mann sagte: “Ich bin ein Mensch wie ihr.” Die Misiangi ergriffen den Mann. Sie schnitten den Leib heraus und hängten ihn im Haus über das Feuer. Die Haut und das übrige hängten sie hinter dem Hause auf.
Nach zwei Tagen sagte der Vater der beiden Jäger: “Meine Söhne sind ausgegangen und kommen nicht wieder. Ich muß selbst sehen, wo sie hingegangen sind.” Der Vater ging von dannen, er ging der Spur seiner Söhne nach. Er kam in das Dorf der Misiangi.
Die Misiangi fragten: “Wer bist du?” Der Mann sagte: “Ich bin ein Mensch wie ihr.”
Die Misiangi führten ihn in das Haus. Die Misiangi machten für den Mann Biddia (Hirsebrei). Sie machten ihm zwei große Schüsseln voll Biddia. Sie legten zwei Mpassu (Heuschrecken) darauf. Sie brachten das Essen dem Mann als Mittagsspeise ins Haus. Der Mann begann zu essen. Er sagte: “Zwei große Schüsseln mit Biddia und nur zwei Mpassu? Und hier hängt über dem Feuer ein Stück Fleisch neben dem andern? Das ist nicht recht.”
Über dem Feuer hing zu hinterst der Leib der Mbambi. Dann hing der Leib des Hundes; dann hing der Leib des ersten Jägers da. Vorn an hing der Leib des andern Sohnes. Der Mann nahm sein Messer und schnitt von dem vordersten Leib ein ganzes Stück ab. Dann aß er. Er schnitt noch ein Stück ab und aß gut.
Am Abend machten die Misiangi wieder zwei große Schüsseln mit Biddia. Sie legten nur einen kleinen Katende (Vogel) darauf. Der Mann aß. Er sagte: “Auf den zwei Schüsseln liegt nur ein kleiner Katende. Und hier hängt die Hütte voller Fleisch, das ist nicht recht.”
Der Mann nahm sein Messer und schnitt ein gutes Stück von dem zweiten Leib ab und aß gut. Dann legte er sich hin und schlief. Am Morgen riefen die Misiangi: “Ich bin ein Mensch wie ihr.” Der Mann sagte: “Hier bin ich.” Die Misiangi sagten: “Hast du gut geschlafen?”
Der Mann sagte: “Ich habe vorzüglich geschlafen!” Die Misiangi nahmen darauf den Leib der Mbambi und das Fell. Sie setzten beides zusammen. Die Mbambi lief von dannen.
Die Misiangi nahmen darauf das Fell des Mboa und den Leib des Mboa. Der Mboa war lebendig, lief von dannen und hinter der Mbambi her.
Die Misiangi nahmen darauf die Haut des ersten Tschilembi und dessen Leib und setzten ihn zusammen. Aber der Tschilembi wurde nicht wieder lebendig. Und die Misiangi klopften ihn und kehrten ihn, aber er wurde nicht lebendig. Sie nahmen den Leib und die Haut des Bruders. Aber auch der wurde nicht wieder lebendig.
Da sagten die Misiangi zu dem Mann: “Du bist ein Mensch. Du bist der Vater dieser beiden Brüder. Du hast von ihrem Fleisch gegessen. Wir können zerschneiden und töten und dann zusammensetzen und lebendig machen, wenn nichts fehlt. Wir würden auch diese beiden wieder lebendig machen können, wenn nichts fehlen würde.”
Der Mann hörte das. Er floh weit von dannen.
Afrikanisches Märchen
(Bena Pulua)
II. FRAGEN ODER DIE SUCHE NACH ÜBERGÄNGEN
Der Sterbende nimmt die Welt mit. Wohin?
Elias Canetti
Die Pest
(1947)
Ohne aus dem Schatten herauszutreten sagte der Arzt, er habe schon geantwortet: Wenn er an einen allmächtigen Gott glaubte, würde er aufhören, die Menschen zu heilen und würde diese Sorge ihm überlassen. Aber niemand auf der Welt – nein, nicht einmal Paneloux, der glaube, daran zu glauben – glaube an einen solchen Gott, da niemand sich völlig hingebe, und zumindest darin glaube er, Rieux, auf dem Weg der Wahrheit zu sein, indem er gegen die Schöpfung, so wie sie war, ankämpfe.
“Ach, das ist also die Vorstellung, die Sie sich von Ihrem Beruf machen?”
“Ungefähr”, sagte der Arzt und trat wieder ins Licht.
Tarrou pfiff leise, und der Arzt sah ihn an.
“Ja”, sagte er, “Sie denken, daß dazu Stolz nötig ist. Aber ich habe nicht mehr als den nötigen Stolz, glauben Sie mir. Ich weiß nicht, was mich erwartet und was nach all dem hier kommen wird. Vorerst sind da die Kranken, und sie müssen geheilt werden. Danach werden sie nachdenken und ich auch. Aber das dringendste ist, sie zu heilen. Ich verteidige sie, so gut ich kann, das ist alles.”
“Gegen wen?”
Rieux wandte sich zum Fenster. An einer dichteren Dunkelheit des Horizonts erahnte er in der Ferne das Meer. Er spürte nur seine Müdigkeit und kämpfte gleichzeitig gegen einen plötzlichen, unsinnigen Wunsch, sich diesem eigenartigen, aber wie er fühlte, brüderlichen Mann etwas mehr anzuvertrauen.
“Ich habe keine Ahnung, Tarrou, ich schwöre Ihnen, daß ich keine Ahnung habe. Als ich diesen Beruf ergriffen habe, geschah es gewissermaßen abstrakt, weil ich einen brauchte, weil es eine Stellung wie alle anderen war, eine von denen, die junge Leute sich zum Ziel setzen. Vielleicht auch, weil es besonders schwierig für einen Arbeitersohn wie mich war. Und dann mußte man sterben sehen. Wissen Sie, daß es Leute gibt, die sich weigern zu sterben? Haben Sie je eine Frau im Sterben ‚Niemals!‘ schreien hören? Ich schon. Und dann ist mir klar geworden, daß ich mich nicht daran gewöhnen konnte. Ich war jung, und mein Ekel glaubte sich gegen die Weltordnung selbst zu richten. Seitdem bin ich bescheidener geworden. Nur habe ich mich immer noch nicht daran gewöhnt, sterben zu sehen. Mehr weiß ich nicht. Aber schließlich …”
Rieux verstummte und setzte sich wieder. Er merkte, daß sein Mund trocken war.
“Schließlich?” sagte Tarrou leise.
“Schließlich ..”, fuhr der Arzt fort, zögerte wieder und sah Tarrou aufmerksam an, “ist es etwas, was ein Mann wie Sie verstehen kann, nicht wahr, aber da die Weltordnung durch den Tod bestimmt wird, ist es für Gott vielleicht besser, daß man nicht an ihn glaubt und mit aller Kraft gegen den Tod ankämpft, ohne die Augen zu diesem Himmel zu erheben, in dem er schweigt.”
“Ja, das kann ich verstehen”, stimmte Tarrou zu. “Aber Ihre Siege werden immer vorläufig sein, das ist alles.”
Rieux schien sich zu verdüstern.
“Immer, das weiß ich. Das ist kein Grund, den Kampf aufzugeben.”
“Nein, das ist kein Grund. Aber ich kann mir jetzt vorstellen, was diese Pest für Sie bedeuten muß.”
Albert Camus
Des Todes Boten
(ca. 750 n.. Chr.)
All die Gedankenlosen, die nicht sorgen,
Zu welcher Zeit des Todes Boten kommen,
Müssen in niederer Verkörperung
Lange die Qual der Leiden fühlen.
Die jedoch gut und heilig sind,
Betragen sich nicht gedankenlos,
Wenn des Todes Boten erscheinen,
Beachten, was die Hohe Lehre sagt,
und sehn, erschreckt, in der Verhaftung
Die ew’ge Quelle von Geburt und Tod,
Befrein sich selbst von diesem Hang
Und tilgen so Geburt und Tod.
Sicher und glücklich ruhen sie.
Entlassen aus der flutenden Schau,
Entbunden aller Sünd’ und Furcht;
Sie sind nun alles Elends bloß.
Tibetanisches Totenbuch
Erster Brief an die Korinther
(ca. 50 n.Chr.)
Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden; und dasselbige plötzlich, in einem Augenblick, zu der Zeit der letzten Posaune. Denn es wird die Posaune schallen, und die Toten werden auferstehen unverweslich, und wir werden verwandelt werden… Dann wird erfüllet werden das Wort, das geschrieben steht: Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?
Paulus
Ein jeder selbst
(1522)
Wir sind alle zum Tode gefordert, und es wird keiner für den andern sterben, sondern jeder muß in eigner Person geharnischt und gerüstet sein, mit dem Tode zu kämpfen. – Wir können wohl einer den andern trösten und zu Geduld, Streit und Kampf ermahnen, aber kämpfen und streiten können wir nicht für ihn, sondern es muß jeder selbst auf seiner Schanze stehn und sich mit den Feinden, dem Teufel und Tode messen, allein mit ihm im Kampf liegen.
Martin Luther
27. Sure
(ca. 600 n.Chr.)
Darum wird Allah sie vor dem Übel dieses Tages bewahren und Heiterkeit und Freude auf ihrem Angesicht glänzen lassen und sie belohnen für ihre ausharrende Geduld mit einem Garten und mit seidenen Gewändern, und sie werden dort auf Lagerkissen ruhen und weder Sonne noch Kälte mehr fühlen. Dichte Schatten werden sich behütend über ihnen ausbreiten, und Früchte werden tief herabhängen, damit sie leicht gepflückt werden können.
Und Dienende werden mit silbernen Kelchen und Bechern um sie herumgehen, mit glashellen Silberflaschen, deren Maß sie nach eigenem Wunsch bestimmen können. Man gibt ihnen da zu trinken aus einem Becher Wein mit Ingwer-Wasser, aus einer Quelle dort, welche Salsabil heißt.
Zu ihrer Aufwartung gehen ewig blühende Jünglinge um sie herum; wenn du sie siehst, hälst du sie für verstreute Perlen, und wo du hinsiehst, erblickst du die Wonne und ein großes Reich. Ihre Gewänder sind aus feiner grüner Seide und aus Samt, durchwirkt mit Gold und Silber, und geschmückt sind sie mit silbernen Armbändern, und ihr Herr wird ihnen reinsten Trunk zu trinken geben und sagen: “Dies ist euer Lohn und der Dank für euer eifriges Streben.”
Koran
Vergeblich
(ca. 500 v. Chr.)
Gering ist der Menschen Macht, erfolglos ihr Streben, in
Knappem Dasein Mühsal um Mühsal,
Und unentrinnbar hängt gleichmäßig über ihnen der Tod.
Denn davon erhalten ihr Teil ebenso die Guten
Wie wer schlecht ist.
Es gibt kein Unglück
Das nicht zu erwarten wäre bei Menschen, in kurzer Frist
Stößt Gott alles um.
Denn alles versinkt in dem einen grauenvollen Wirbelschlund,
Die großen Manneswerte und der Reichtum.
Denn auch sie vermochten es nicht, die früher einmal gewesen sind,
Halbgötter gezeugt von Herrengöttern,
Ein mühefreies, verfallfreies, gefahrfreies Leben
Zum Ziel des Greisentums zu bringen.
Simonides von Keos
(übertragen von Hermann Fränkel)
Gebet an die Ahnen
Einträchtig sind sie hergekommen
und nahten ehrerbietig schon;
der Fürsten Beisein soll ihm frommen;
voll Andacht ist der Himmelssohn.
“Da ich den großen Stier Dir weihe
und sie beim Opfer nehmen teil,
verklärter Vater, o verleihe
mir, Deinem treuen Sohne, Heil!
An Geist und Wahrheit warst Du Mann,
und warst Fürst in Krieg und Frieden;
hast Ruh’ dem hohen Himmel dann
und Deiner Nachkunft Glanz beschieden;
warst meiner greisen Brau’n Berater
und reichlich segnetest Du mich.
So ehr ich Dich, erhabner Vater,
und ehre, würd’ge Mutter, Dich.”
Aus dem Shi-King
Mein Rat
(ca. 630 v. Chr.)
Das Endeziel von allem ist, o Sohn,
Beim hohen Zeus; der stellts, wohin er will.
Der Mensch ist sinn-los. Immer leben wir
Nur einen Tag und wissen nicht, wie Gott
Mit einem Sterblichen es enden werde.
Indessen nährt die süße Trügerin,
Die Hoffnung uns, auch wenn zum Nichtigen
Wir streben. Dieser hofft den nächsten Tag;
Der andre künftger Sommer Ernten; da
Ist keiner, der sich nicht beim neuen Jahr
Ein freundliches, ein segenreiches Glück
Verheiße. Jenen rafft indes das Alter weg,
Eh er zum Ziel gelangte; diesen zehrt
Die Krankheit auf. Die zähmt der wilde Mars
Und sendet sie zur Totenschar hinab
In Plutos unterirdisch-schwarzes Haus.
Die sterben auf dem Meer: der Sturm ergriff,
Die schwarze Welle riß sie fort mit sich;
Hin ist ihr Leben, ihre Hoffnung hin.
Der greift, unglücklich Schicksal! selbst zum Strick
Und raubt sich selbst der schönen Sonne Licht.
Nichts ist von Plagen frei: zehntausende
Der Tode stehn, ein unabwendbar Heer
Von Schmerz und Plagen stehn dem Sterblichen
Ringsum. O glaubten meinem Rate sie,
So liebte keiner doch sein Unglück selbst
Und zehrte sich das Herz in Unmut ab.
Semonides von Amorgos
(übertragen von Johann Gottfried Herder)
Nänie
(1799)
Auch das Schöne muß sterben! Das Menschen und Götter bezwinget,
Nicht die eherne Brust rührt es des stygischen Zeus.
Einmal nur erweichte die Liebe den Schattenbeherrscher,
Und an der Schwelle noch, streng, rief er zurück sein Geschenk.
Nicht stillt Aphrodite dem schönen Knaben die Wunde,
Die in den zierlichen Leib grausam der Eber geritzt.
Nicht errettet den göttlichen Held die unsterbliche Mutter,
Wann er, am skäischen Tor fallend, sein Schicksal erfüllt.
Aber sie steigt aus dem Meer mit allen Töchtern des Nereus,
Und die Klage hebt an um den verherrlichten Sohn.
Siehe! Da weinen die Götter, es weinen die Göttinnen alle,
Daß das Schöne vergeht, daß das Vollkommene stirbt.
Auch ein Klagelied zu sein im Mund der Geliebten, ist herrlich.
Denn das Gemeine geht Hanglos zum Orkus hinab.
Friedrich v. Schiller
Phaidon
(ca. 387-367 v. Chr.)
Sokrates. In der Tat also, mein Simmias, trachten die wahren Philosophen danach, zu sterben, und der Tod ist ihnen von allen Menschen am wenigsten furchtbar. Stelle nur folgende Erwägung an. Wenn sie nämlich in jeder Hinsicht mit dem Leibe entzweit sind und die Seele ganz für sich allein haben wollen, wäre es da nicht die größte Torheit, wenn sie sich bei Erfüllung dieses Wunsches fürchten und unwillig sein wollten, anstatt mit Freuden dahin zu gehen, wo sie nach ihrer Ankunft hoffen dürfen, das zu erlangen, wonach sie ihr Leben lang getrachtet haben – es war dies aber die Vernunfterkenntnis -, und vom Zusammensein mit dem befreit zu werden, was ihnen zuwider war?
Oder sollten nur viele nach dem Tode sterblicher Lieblinge oder Frauen und Kinder freiwillig in die Unterwelt haben gehen wollen, von der Hoffnung geleitet, dort die wiederzusehen, nach denen sie sich sehnten, und mit ihnen zusammen zu sein; wer aber die Vernunfterkenntnis wirklich liebt und ebendieser zuversichtlichen Hoffnung lebt, er werde nirgend anderswo ihrer nach Wunsch teilhaftig werden als in der Unterwelt, den sollte es verdrießen zu sterben, und er sollte nicht freudig dorthin aufbrechen?
Nein, das kann man nicht glauben, mein Bester, wenigstens nicht, wenn er ein echter Philosoph ist. Denn gar fest wird ein solcher dies glauben, daß er nirgend woanders die reine Wahrheit antreffen wird als dort. Verhält sich das aber so, wäre es da nicht, wie gesagt, große Unvernunft, wenn ein solcher den Tod fürchtete?
Plato
Ode an die Wiedererstandenen
Die Nacht ist der Tod des Tages,
Die Berge sind der Tod der ältesten Vögel.
Jene Witwen, die sich still beklagend zum Gebet waschen,
Sind der Tod ihrer seligen Gatten.
Geliebt werdet ihr hellblau, jeden Sommer,
Die Ähre ist der Tod des Weizens.
Ihr begreift nicht wie, ihr seht nicht: auf der Sonne
Ist Dienstag der Tod von Montag.
Eisig kalte, eisig dunkle
Einsamkeit ist der Tod jener schönen Helle.
Leben, Leben, dreißig Jahre, fünfzig Jahre, achtzig Jahre
Sind deinetwegen der Tod der Liebe.
Fazil Hüsnü Daglarca
(Übertragung: Yüksel Pazarkaya)
Tagebuch
(1967)
Wir leben, um zu sterben. Der Tod ist das Ziel der Existenz, das ist, wird man sagen, eine Binsenweisheit. Doch zuweilen verschwindet hinter einem abgegriffenen Ausdruck das Banale, und die Wahrheit taucht auf, taucht ganz neu wieder auf. Mir scheint, ich durchlebe einen jener Augenblicke, da ich mir zum ersten Male sage, da ich zum ersten Male entdecke, daß die Existenz nur ein Ziel hat: den Tod. Man kann nichts dagegen tun. Man kann nichts tun. Man kann nichts tun. Man kann nichts dagegen tun. Aber was sind das für Lebensbedingungen, an Fäden gezogen zu werden wie Marionetten? Mit welchem Recht hält man mich zum Narren?
Noch heute wundere ich mich manchmal, nicht mehr zwölf Jahre alt zu sein.
Wenn ich Phädon lese, merke ich erst am Ende des Dialogs, wie gut wir dran sind. Sokrates hat mich nicht davon überzeugen können, daß die Seele unsterblich ist und daß er künftig in einer besseren Welt leben wird. Anscheinend sind seine Jünger auch nicht davon überzeugt, denn sie weinen; warum sollten sie sonst weinen? Wenn der Abend kommt und Sokrates das Gift trinkt, wenn seine Füße erkalten und der Leib, und wenn er schließlich stirbt, packt mich ein Schrecken, eine unsägliche Traurigkeit. Die Beschreibung von Sokrates’ Tod ist so überzeugend, viel überzeugender als die Argumente, die Sokrates für die Unsterblichkeit anführt. Außerdem verflüchtigen sich die Argumente augenblicklich; man vergißt sie sofort, doch das Bild vom Tod des Sokrates gräbt sich in meine Erinnerung; alle Menschen sind sterblich. Da Sokrates ein Mensch ist, ist er sterblich. Heute Nacht lag ich wach und dachte daran. Seit langem hatte ich keine so hellsichtige, greifbare, eisige Angst mehr empfunden. Furcht vor dem Nichts. Wie soll ich es beschreiben? Ich legte die Hände auf die Brust, um zu spüren, daß ich da war; dann plötzlich war mir, als hätte die Finsternis des Nichts bereits begonnen, mich zu verschlingen, als hätte ich schon keine Füße, keine Waden, keine Schenkel mehr; ich war nur noch ein Rumpf, an dem die eisigen Flammen des Nichts zehrten. Ich machte Licht. Wie gut ist es zu leben! Zärtlichkeit stieg in mir auf für das Leben, das mir feenhaft schien, eine leuchtende Zauberei der Nacht. Wir töten uns gegenseitig, weil wir wissen, daß wir alle getötet werden. Weil wir den Tod hassen, darum töten wir einander. Der friedvolle, heitere Tod des Sokrates scheint mir plötzlich ganz unwahrscheinlich, und doch ist so etwas möglich. Aber wie?
Eugéne Ionesco
Was dann?
(ca. 1930)
Wo wird es bleiben,
Was mit dem letzten Hauch entweicht?
Wie Winde werden wir treiben –
Vielleicht!
Werden wir reinigend wehen?
Und kennen jedes Menschen Gesicht.
Und jeder darf durch uns gehen,
Erkennt aber uns nicht.
Wir werden drohen und mahnen
Als Sturm,
Und lenken die Wetterfahnen
Auf jedem Turm.
Ach, sehen wir die dann wieder,
Die vor uns gestorben sind?
Wir, dann ungreifbarer Wind?
Richten wir auf und nieder
Die andern, die nach uns leben?
Wie weit wohl Gottes Gnade reicht.
Uns alles zu vergeben?
Vielleicht? Vielleicht!
Joachim Ringelnatz
SONNET LXVI
Tired with all these, for restful death I cry,
As, to behold desert a beggar born,
And needy nothing trimm’d in jollity,
And purest faith unhappily forsworn,
And gilded honour shamefully misplaced,
And maiden virtue rudely strumpeted,
And right perfection wrongfully disgraced,
And strength by limping sway disabled,
And art made tongue-tied by authority,
And folly, doctor-like, controlling skill,
And simple truth miscall’d simplicity,
And captive good attending captain ill:
Tired with all these, from these would I be gone,
Save that, to die, I leave my love alone.
William Shakespeare
LXVI. SONETT
Müde von alle diesem wünsch’ ich Tod:
Verdienst zum Bettler sehn geboren werden,
Und hohle Dürftigkeit in Grün und Rot,
Und wie sich reinste Treu entfärbt auf Erden,
Und goldnen Ehrenschmuck auf Knechteshaupt,
Und jungfräuliche Tugend frech geschändet,
Und Hoheit ihres Herrschertums beraubt,
Und Kraft an lahmes Regiment verschwendet,
Und Kunst im Zungenbande der Gewalt,
Und Schulenunsinn, der Vernunft entgeistert,
Und schlichte Wahrheit, die man Einfalt schalt,
Und wie vom Bösen Gutes wird gemeistert:
Müde von alle dem, wär Tod mir süß;
Nur, daß ich sterbend den Geliebten ließ!
Nachdichtung:
Menschliches Elende
Was sind wir Menschen doch! Ein Wohnhaus grimmer Schmerzen,
Ein Ball des falschen Glücks, ein Irrlicht dieser Zeit,
Ein Schauplatz herber Angst, besetzt mit scharfem Leid,
Ein bald verschmelzter Schnee und abgebrannte Kerzen.
Dies Leben fleucht davon wie ein Geschwätz und Scherzen.
Die vor uns abgelegt des schwachen Leibes Kleid
Und in das Totenbuch der großen Sterblichkeit
Längst eingeschrieben sind, sind uns aus Sinn und Herzen.
Gleich wie ein eitel Traum leicht aus der Acht hinfällt
Und wie ein Strom verscheußt, den keine Macht aufhält,
So muß auch unser Nam, Lob, Ehr und Ruhm verschwinden.
Was itzund Atem holt, muß mit der Luft entfliehn,
Was nach uns kommen wird, wird uns ins Grab nachziehn.
Was sag ich? Wir vergehn wie Rauch vor starken Winden.
Andreas Gryphius
Chanson d‘automne
Les sanglots longs
Des violons
De l’automne
Blessent mon coeur
D’ une langueur
Monotone.
Tout suffocant
Et blême, quand
Sonne l‘ heure,
Je me souviens
Des jours anciens
Et je pleure;
Et je m’en vais
Au vent mauvais
Qui m’ emporte
DeVà, delà,
Pareil à la
Feuille morte.
Paul Verlaine
Herbstlied
Seufzer gleiten
Die saiten
Des herbsts entlang
Treffen mein herz
Mit einem schmerz
Dumpf und bang.
Beim glockenschlag
Denk ich zag
und voll peinen
An die zeit
Die nun schon weit
Und muss weinen.
Im bösen winde
Geh ich und finde
Keine statt…
Treibe fort
Bald da bald dort –
Ein welkes blatt.
Übertragung: Stefan George
Kaleidoskop
Wer Gott ahnet, ist hoch zu halten,
Denn er wird nie im Schlechten walten.
Der Mensch erfährt, er sei auch, wer er mag,
Ein letztes Glück und einen letzten Tag.
Nichts vom Vergänglichen,
Wie’s auch geschah
Uns zu verewigen
Sind wir ja da.
Johann Wolfgang von Goethe
Alles
Was du gegen den Tod zu sagen hast, ist nicht weniger unwirklich als die
Seelen-Unsterblichkeit der Religionen.
Es ist sogar noch unwirklicher, denn es will alles bewahren, nicht nur eine Seele.
Eine Unersättlichkeit, die beinahe nicht zu begreifen ist.
Elias Canetti
Hyperion
…Wir bedauern die Toten, als fühlten sie den Tod, und die Toten haben doch Frieden. Aber das, das ist der Schmerz, dem keiner gleichkömmt, das ist unaufhörliches Gefühl der gänzlichen Zernichtung, wenn unser Leben seine Bedeutung so verliert, wenn so das Herz sich sagt, du mußt hinunter und nichts bleibt übrig von dir; keine Blume hast du gepflanzt, keine Hütte gebaut, nur daß du sagen könntest: ich lasse eine Spur zurück auf Erden. Ach! Und die Seele kann immer so voll Sehnens sein, bei dem, daß sie so mutlos ist! …
Friedrich Hölderlin
III. FRAGEN ODER DIE SUCHE NACH LEBENSWEGEN
Inschrift auf einem nicht abgeholten Grabstein
(ca. 1927)
Wandrer, wenn du vorbeikommst
Wisse:
Ich war glücklich
Meine Unternehmungen waren fruchtbar
Meine Freunde treu
Meine Gedanken angenehm
Was ich tat, war besonnen
Am Ende habe ich nicht widerrufen
Wegen einer Kleinigkeit
Habe ich nie mein Urteil geändert.
Da ich noch nicht tot bin
Wage ich nichts zu sagen als:
Mein Leben war schwer, aber
Ich klage nicht
Auch habe ich etwas aufzuweisen
Was mein Leben rentiert hat
Sorge dich nicht um mich, ich selber
Verachte die Unglücklichen
Aber schon, als ich schrieb
Was du hier liest
Gab es nichts mehr, was mich noch treffen konnte.
Bertold Brecht
Lebenslauf
Größers wolltest auch du, aber die Liebe zwingt
All uns nieder, das Leid beuget gewaltiger,
Doch es kehret umsonst nicht
Unser Bogen, woher er kommt.
Aufwärts oder hinab! Herrschet in heilger Nacht,
Wo die stumme Natur werdende Tage sinnt,
Herrscht im schiefesten Orkus
Nicht ein Grades, ein Recht noch auch?
Dies erfuhr ich. Denn nie, sterblichen Meistern gleich,
Habt ihr Himmlischen, ihr Alleserhaltenden,
Daß ich wüßte, mit Vorsicht
Mich des ebenen Pfads geführt.
Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen,
Daß er, kräftig genährt, danken für Alles lern
Und verstehe die Freiheit
Aufzubrechen, wohin er will.
Friedrich Hölderlin
Sonnet XI
As fast as thou shalt wane, so fast thou grow’st
In one of thine, from that which thou departest;
And that fresh blood which youngly thou bestow’st
Thou mayst call thine when thou from youth convertest.
Herein lives wisdom, beauty and increase;
Without this, folly, age and cold decay:
If all were minded so, the times should cease
And threescore year would make the world away.
Let those whom Nature hath not made for store,
Harsh, featureless and rude, barrenly perish:
Look, whom she best endow’d she gave the more;
Which bounteous gift thou shouldst in bounty cherish:
She carved thee for her seal, and meant thereby
Thou shouldst print more, not let that copy die.
William Shakespeare
XI. SONETTE
So schnell du abblühst, sprossest du heran
Aus dem, was dir entging, in deinen Zweigen,
Und was du jugendlich an Blut vertan,
Das nennst du, wenn die Jugend schwand, dein eigen.
Hierin lebt Weisheit, Schönheit, Nachwuchs fort;
Sonst, Torheit, Alter, eisiges Gerinnen.
Dächt’ alles so, die Zeit wär längst verdorrt,
In sechzig Jahren diese Welt von hinnen.
Laß sterben unfruchtbar, die anmutleer,
Rauh von Natur und wüst nicht zur Vermehrung taugen;
Sieh ihre Bestbegabten; dir ward mehr;
So reiche Gabe sollst du reichlich brauchen!
Natur schnitt ihren Stempel dich, und sprach:
Laß ihn nicht untergehen, präg’ ihn nach.
Nachdichtung:
Ein alter Mann geht vorüber
Ich war einmal ein Kind. Genau wie ihr.
Ich war ein Mann. Und jetzt bin ich ein Greis.
Die Zeit verging. Ich bin noch immer hier
Und möchte gern vergessen, was ich weiß.
Ich war ein Kind. Ein Mann. Nun bin ich mürbe.
Wer lange lebt, hat eines Tags genug.
Ich hätte nichts dagegen, wenn ich stürbe.
Ich bin so müde. Andre nennen’s klug.
Ach, ich sah manches Stück im Welttheater.
Ich war einmal ein Kind, wie ihr es seid.
Ich war einmal ein Mann. Ein Freund. Ein Vater.
Und meistens war es schade um die Zeit…
Ich könnte euch verschiedenes erzählen,
Was nicht in euren Lesebüchern steht.
Geschichten, welche im Geschichtsbuch fehlen,
Sind immer die, um die sich alles dreht.
Wir hatten Krieg. Wir sahen, wie er war.
Wir litten Not und sah’n, wie sie entstand.
Die großen Lügen wurden offenbar.
Ich hab’ ein paar der Lügner gut gekannt.
Ja, ich sah manches Stück im Welttheater.
Ums Eintrittsgeld tut’s mir noch heute leid.
Ich war ein Kind. Ein Mann. Ein Freund. Ein Vater.
Und meistens war es schade um die Zeit…
Wir hofften. Doch die Hoffnung war vermessen.
Und die Vernunft blieb wie ein Stern entfernt.
Die nach uns kamen, hatten schnell vergessen.
Die nach uns kamen, hatten nichts gelernt.
Sie hatten Krieg. Sie sahen, wie er war.
Sie litten Not und sah’n, wie sie entstand.
Die großen Lügen wurden offenbar.
Die großen Lügen werden nie erkannt.
Und nun kommt ihr. Ich kann euch nichts vererben:
Macht, was ihr wollt. Doch merkt euch dieses Wort:
Vernunft muß sich ein jeder selbst erwerben,
Und nur die Dummheit pflanzt sich gratis fort.
Die Welt besteht aus Neid. Und Streit. Und Leid.
Und meistens ist es schade um die Zeit.
Erich Kästner
Ausgang
Immer enger, leise, leise
Ziehen sich die Lebenskreise,
Schwindet hin, was prahlt und prunkt,
Schwindet Hoffen, Hassen, Lieben,
Und ist nichts in Sicht geblieben
Als der letzte dunkle Punkt.
Theodor Fontane
Kleiner Ring
Was unterscheidet
Götter von Menschen?
Daß viele Wellen
Vor jenen wandeln,
Ein ewiger Strom:
Uns hebt die Welle,
Verschlingt die Welle,
Und wir versinken.
Ein kleiner Ring
Begrenzt unser Leben,
Und viele Geschlechter
Reihen sich dauernd
An ihres Daseins
Unendliche Kette.
Johann Wolfgang Goethe
An sich selbst
Mir grauet vor mir selbst; mir zittern alle Glieder,
Wenn ich die Lipp und Nas und beider Augen Kluft,
Die blind vom Wachen sind, des Atems schwere Luft
Betracht und die nun schon erstorbnen Augen-Lider.
Die Zunge, schwarz vom Brand, fällt mit den Worten nieder
Und lallt ich weiß nicht was; die müde Seele ruft
Dem großen Tröster zu; das Fleisch ruft nach der Gruft;
Die Ärzte lassen mich; die Schmerzen kommen wieder.
Mein Körper ist nicht mehr als Adern, Fell und Bein.
Das Sitzen ist mein Tod, das Liegen meine Pein.
Die Schenkel haben selbst nun Träger wohl vonnöten.
Was ist der hohe Ruhm, und Jugend, Ehr und Kunst?
Wenn diese Stunde kommt, wird alles Rauch und Dunst,
Und eine Not muß uns mit allem Vorsatz töten.
Andreas Gryphius
Versöhnung
Es ließe sich alles versöhnen,
Wenn keine Rechenkunst es will.
In einer schönen,
Ganz neuen und scheuen
Stunde spricht ein Bereuen
So mutig still.
Es kann ein ergreifend Gedicht
Werden, das kurze Leben,
Wenn ein Vergehen
Aus Frömmigkeit schlicht
Sein Innerstes spricht.
Zwei Liebende auseinandergerissen:
Gut wollen und einfach sein!
Wenn beide das wissen,
Kann ihr Dach wieder sein Dach sein
Und sein Kissen ihr Kissen.
Joachim Ringelnatz
Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland
Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,
Ein Birnbaum in seinem Garten stand,
Und kam die goldene Herbsteszeit
Und die Birnen leuchteten weit und breit,
Da stopfte, wenn’s Mittag vom Turme scholl,
Der von Ribbeck sich beide Taschen voll,
Und kam in Pantinen ein Junge daher,
So rief er: ,,Junge, wiste ne Beer?"
Und kam ein Mädel, so rief er: "Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick hebb ne Birn."
So ging es viel Jahre, bis lobesam
Der von Ribbeck auf Ribbeck zu sterben kam.
Er fühlte sein Ende, ‘s war Herbsteszeit,
Wieder lachten die Birnen weit und breit;
Da sagte von Ribbeck: ,,Ich scheide nun ab.
Legt mir eine Birne mit ins Grab!”
Und drei Tage drauf, aus dem Doppeldachhaus,
Trugen von Ribbeck sie hinaus.
Alle Bauern und Büdner mit Feiergesicht
Saugen ,,Jesus meine Zuversicht!"
Und die Kinder klagten, das Herze schwer:
,,He is dod nu. Wer giwt uns nu ne Beer?"
So klagten die Kinder. Das war nicht recht –
Ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht!
Der neue freilich, der knausert und spart,
Hält Park und Birnbaum strenge verwahrt.
Aber der alte, vorahnend schon
Und voll Mißtrauen gegen den eigenen Sohn,
Der wußte genau, was damals er tat,
Als um eine Birn ins Grab er bat;
Und im dritten Jahr aus dem stillen Haus
Ein Birnbaumsprößling sprößt’ heraus.
Und die Jahre gehen wohl auf und ab,
Langst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab,
Und in der goldenen Herbsteszeit
Leuchtet’s wieder weit und breit,
Und kommt ein Jung übern Kirchhof her,
So flüstert’s im Baume: ,,Wiste ne Beer?”
Und kommt ein Mädel, so flüstert’s: ,,Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick gew di ne Birn!”
So spendet Segen noch immer die Hand
Des von Ribbeck auf Ribbeck in’ Havelland.
Theodor Fontane
De l’élection de son sepulchre
Antres, & vous fontaines
De ces roches hautaines
Qui tombez contre-bas
D’vn glissant pas:
Et vous forests & ondes
Par ces prez vagabondes,
Et vous riues & bois
Oyez ma vois.
Quand le ciel & mon heure
Iugeront que ie meure,
Rauy du beau seiour
Du commun iour,
Je defens qu’on ne rompe
Le marbre pour la pompe
De vouloir mon tombeau
Bastir plus beau:
Mais bien ie veux qu’vn arbre
M’ombrage en lieu d’vn marbre,
Arbre qui soit couuert
Tousiours de vert.
Pierre de Ronsard
Wie ich mir mein Grab wünsche
Ihr Grotten, Quellen ihr,
Die aus dem Felsrevier
Hinstürzet unverwandt,
Ein gleitend Band,
Ihr Wälder, Bachgerinn
Durch grüne Wiesen hin,
Ihr Ufer, Haine dort,
Vernehmt mein Wort.
Will es die Schicksalsstund,
Daß ich nun geh zugrund,
Und wird genommen mir
Was schön war hier,
Soll nimmermehr es sein,
Daß man aus Marmorstein
Voll übertriebner Pracht
Ein Grab nur macht.
Ein Baum soll mich allein
Beschatten statt dem Stein,
Mit seiner Blätter Kleid,
Grün alle Zeit.
Übertragung: Max Rieple
Hermann und Dorothea
Lächelnd sagte der Pfarrer: Des Todes rührendes Bild steht,
Nicht als Schrecken dem Weisen, und nicht als Ende dem Frommen.
Jenen drängt er ins Leben zurück, und lehret ihn handeln;
Diesem stärkt es, zu künftigem Heil, im Trübsal die Hoffnung;
Beiden wird zum Leben der Tod. Der Vater mit Unrecht
Hat dem empfindlichen Knaben den Tod im Tode gewiesen.
Zeige man doch dem Jüngling des edel reifenden Alters
Wert, und dem Alter die Jugend, daß beide des ewigen Kreises
Sich erfreuen und so sich Leben im Leben vollende!
Johann Wolfgang von Goethe
Der Mensch
Empfangen und genähret
Vom Weibe wunderbar,
Kömmt er und sieht und höret
Und nimmt des Trugs nicht wahr;
Gelüstet und begehret
Und bringt sein Tränlein dar;
Verachtet und verehret,
Hat Freude und Gefahr;
Glaubt, zweifelt, wähnt und lehret,
Hält nichts und alles wahr;
Erbauet und zerstöret
Und quält sich immerdar;
Schläft, wachet, wäscht und zehret;
Trägt braun und graues Haar.
Und alles dieses währet,
Wenns hoch kommt achtzig Jahr.
Denn legt er sich zu seinen Vätern nieder,
Und er kömmt nimmer wieder.
Matthias Claudius
Das Gleichnis von den drei Ringen
(aus: Nathan der Weise, 1779)
Vor grauen Jahren lebt’ ein Mann im Osten,
Der einen Ring von unschätzbarem Wert
Aus lieber Hand besaß. Der Stein war ein
Opal, der hundert schöne Farben spielte
Und hatte die geheime Kraft, vor Gott
Und Menschen angenehm zu machen, wer
In dieser Zuversicht ihn trug. Was Wunder,
Daß ihn der Mann im Osten darum nie
Vom Finger ließ und die Verfügung traf,
Auf ewig ihn bei seinem Hause zu
Erhalten? Nämlich so: Er ließ den Ring
Von seinen Söhnen dem Geliebtesten;
Und setzte fest, daß dieser wiederum
Den Ring von seinen Söhnen dem vermache,
Der ihm der Liebste sei; und stets der Liebste,
Ohn’ Anseh’n der Geburt, in Kraft allein
Des Rings, das Haupt, der Fürst des Hauses werde. –
So kam nun dieser Ring von Sohn zu Sohn,
Auf einen Vater endlich von drei Söhnen,
Die alle drei ihm gleich gehorsam waren,
Die alle drei er folglich gleich zu lieben
Sich nicht enthalten konnte. Nur von Zeit
Zu Zeit schien ihm bald der, bald dieser, bald
Der Dritte, – so wie jeder sich mit ihm
Allein befand, und sein ergießend Herz
Die andern zwei nicht teilten, – würdiger
Des Ringes, den er denn auch einem jeden
Die fromme Schwachheit hatte, zu versprechen.
Das ging nun so, so lang’ es ging. – Allein
Es kam zum Sterben, und der gute Vater
Kommt in Verlegenheit. Es schmerzt ihn, zwei
Von seinen Söhnen, die sich auf sein Wort
Verlassen, so zu kränken. – Was zu tun?
Er sendet ihn geheim zu einem Künstler,
Bei dem er, nach dem Muster seines Rings,
Zwei andere bestellt, und weder Kosten
Noch Mühe sparen heißt, sie jenem gleich,
Vollkommen gleich zu machen. Das gelingt
Dem Künstler. Da er ihm die Ringe bringt,
Kann selbst der Vater seinen Musterring
Nicht unterscheiden. Froh und freudig ruft
Er seine Söhne, jeden insbesondre;
Gibt jedem insbesondre seinen Segen –
Und seinen Ring – und stirbt. –
Kaum war der Vater tot, so kommt ein jeder
Mit seinem Ring, und jeder will der Fürst
Des Hauses sein. Man untersucht, man zankt,
Man klagt. Umsonst; der rechte Ring war nicht
Erweislich; – fast so unerweislich als
Uns jetzt – der rechte Glaube ist. – Die Söhne
Verklagen sich und jeder schwur dem Richter,
Unmittelbar aus seines Vaters Hand,
Den Ring zu haben – wie auch wahr! – nachdem
Er von ihm lange das Versprechen schon
Gehabt, des Ringes Vorrecht einmal zu
Genießen. – Wie nicht minder wahr! – der Vater
Beteuerte jeder, könne gegen ihn
Nicht falsch gewesen sein; und eh’ er dieses
Von ihm, von einem solchen lieben Vater
Argwöhnen laß’: eh’ müß er seine Brüder,
So gern er sonst von ihnen nur das Beste
Bereit zu glauben sei, des falschen Spiels
Bezeihen; und er wolle die Verräter
Schon auszufinden wissen; sich schon rächen.
Der Richter sprach: wenn ihr mir nun den Vater
Nicht bald zur Stelle schafft, so weis’ ich euch
Von meinem Stuhle. Denkt ihr, daß ich Rätsel
Zu lösen da bin? Oder harret ihr,
Bis daß der rechte Ring den Mund eröffne? –
Doch halt! ich höre ja, der rechte Ring
Besitzt die Wunderkraft, beliebt zu machen;
Vor Gott und Menschen angenehm. Das muß
Entscheiden! Denn die falschen Ringe werden
Doch das nicht können! – Nun, wen lieben zwei
Von euch am meisten? – Macht, sagt an! Ihr schweigt?
Die Ringe wirken nur zurück? und nicht
Nach außen? Jeder liebt sich selber nur
Am meisten? – Oh, so seid ihr alle drei
Betrogene Betrüger! Eure Ringe
Sind alle drei nicht echt. Der echte Ring
Vermutlich ging verloren. Den Verlust
Zu bergen, zu ersetzen, ließ der Vater
Die drei für einen machen. –
Und also, fuhr der Richter fort, wenn ihr
Nicht meinen Rat, statt meines Spruches, wollt:
Geht nur! – Mein Rat ist aber der: ihr nehmt
Die Sache völlig, wie sie liegt. Hat von
Euch jeder seinen Ring von seinem Vater:
So glaube jeder seinen Ring.
Den echten. – Möglich, daß der Vater nun
Die Tyrannei des einen Rings nicht länger
In seinem Hause dulden wollen! – Und gewiß.
Daß er euch alle drei geliebt und gleich
Geliebt: in dem er zwei nicht drücken mögen,
Um einen zu begünstigen. – Wohlan!
Es eif’re jeder seiner unbestoch’nen,
Von Vorurteilen freien Liebe nach!
Es strebe von euch jeder um die Wette,
Die Kraft des Steins in seinem Ring an Tag
Zu legen! komme dieser Kraft mit Sanftmut,
Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun,
Mit innigster Ergebenheit in Gott
Zu Hilf’! Und wenn sich dann der Steine Kräfte
Bei euern Kindes-Kindeskindern äußern:
So lad’ ich über tausend tausend Jahre
Sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird
Ein weis’rer Mann auf diesem Stuhle sitzen,
Als ich; und sprechen. – Geht! – So sagte der
Bescheid’ne Richter. –
Gottfried Ephraim Lessing
Gebet an die Ahnen
Ich rede zu Euch, erhabene Seelen meiner Vorväter aller Generationen.
Alljährlicher Übung folgend, sind wir, Eure Verwandten, hier versammelt, um die Frühlings- (Herbst-) Ahnenfeier zu begehen.
Höret in Ruhe an, wie wir Euch unter Darbringung verschiedener Opfer in größter Ehrerbietung zu dienen geloben.
Ich flehe Euch an, lasset diesem Hause kein Unglück widerfahren, und lasset uns, Eure Kinder und Kindeskinder, bis in die letzten Generationen Euch dienen mit einer Feier, wie heute, ohne Unterlaß und ohne Säumnis.
Aus dem Shintoismus
Hälfte des Lebens
Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.
Weh mir, wo nehm ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.
Friedrich Hölderlin
Der alte Grabstein
In einem kleinen Marktflecken, bei einem Manne, der sein eigenes Haus hatte, saß die ganze Familie abends im Kreise beisammen, zu einer Jahreszeit, da man sagt: „Die Abende werden länger“; es war noch mild und warm; die Lampe war angezündet; die langen Vorhänge hingen vor den Fenstern, auf denen Blumentöpfe standen, und draußen war herrlicher Mondschein; davon redeten sie jedoch nicht, sie redeten von einem alten, großen Stein, der unten auf dem Hofe lag, dicht bei der Küchentür, wo die Mägde oft die gescheuerten Kupfersachen hinstellten, damit sie in der Sonne trockneten, und wo die Kinder zu spielen pflegten – es war eigentlich ein alter Grabstein.
,,Ja“, sagte der Hausvater, ,,ich glaube, er stammt von der alten, abgerissenen Klosterkirche; da wurden ja Kanzel, Epitaphien und Grabsteine verkauft; mein seliger Vater kaufte mehrere davon, sie wurden zum Pflastern zerschlagen, aber dieser Stein blieb übrig und liegt seitdem auf dem Hof."
,,Man kann wohl sehen, daß es ein Grabstein ist", sagte das älteste der Kinder, ,,da ist noch immer ein Stundenglas zu erkennen und ein Stück von einem Engel, aber die Inschrift, die draufstand, die ist fast ganz verwischt, ausgenommen der Name Preben und ein großes S, das gleich dahinter steht, und ein wenig weiter unten ,Marthe‘; aber mehr kann man nicht erkennen, und so deutlich steht es auch nur da, wenn es geregnet hat oder wenn wir ihn ab gewaschen haben."
,,Herrgott, das ist der Leichenstein von Preben Svane und seiner Ehefrau!“ sagte ein alter, alter Mann, er hätte dem Alter nach leicht der Großvater von allen in der Stube sein können. ,,Ja, dies Ehepaar war eines von den letzten, die auf dem alten Klosterfriedhof beerdigt wurden! Es war ein altes, rechtschaffenes Paar aus meiner Knabenzeit! Alle kannten sie, und alle liebten sie, sie waren das Alterskönigspaar hier im Ort! Die Leute erzählten von ihnen, sie besäßen über eine Tonne Gold, und trotzdem gingen sie schlicht gekleidet, im gröbsten Zeug, nur ihr Leinen war ganz schimmernd weiß. Sie waren ein schönes altes Paar, Preben und Marthe! Wenn sie auf der Bank saßen, die oben auf der hohen, steinernen Treppe des Hauses stand, über die die alte Linde ihre Äste neigte, und sie nickten freundlich und mild, dann wurde einem so richtig froh zumute. Sie waren so unbeschreiblich gut gegen die Armen; sie speisten sie, sie kleideten sie, und in all ihrer Wohltätigkeit lagen Vernunft und wahres Christentum.
Zuerst starb die Frau! ich entsinne mich des Tages ganz genau! Ich war ein kleiner Junge und mit meinem Vater beim alten Preben drinnen, als sie gerade eingeschlafen war; der alte Mann saß ganz bewegt da, weinte wie ein Kind – die Leiche lag noch in der Schlafstube, dicht neben dem Platz, wo wir saßen-, und er sprach mit meinem Vater und ein paar Nachbarn darüber, wie einsam es jetzt werden würde, was für ein Segen sie gewesen war, wie viele Jahre sie mitsammen verlebt hatten und wie es gekommen war, daß sie einander kennenlernten und liebgewannen; ich war, wie gesagt, klein und stand dabei und hörte zu, aber ich war so seltsam erfüllt davon, dem alten Manne zuzuhören und zu sehen, wie er immer lebhafter wurde, rote Wangen bekam, als er von den Verlobungstagen sprach, wie entzückend sie gewesen war, wie viele kleine harmlose Umwege er gemacht hatte um sich mit ihr zu treffen; und er sprach vom Hochzeitstag, seine Augen glänzten dabei, er lebte geradezu wieder in jener freudvollen Zeit, und dabei lag sie jetzt tot in der Schlafstube nebenan, eine alte Frau, und er war ein alter Mann und sprach von der Zeit des Hoffens! – Jaja, so geht
es! Da war ich nur ein Kind, und jetzt bin ich alt, alt wie Preben Svane. Die Zeit vergeht, und alles wandelt sich! – Ich erinnere mich gut an ihren Begräbnistag, der alte Preben ging hinter dem Sarge. Ein paar Jahre vorher hatte das Ehepaar seinen Grabstein hauen lassen mit Inschrift und Namen, bis auf das Todesjahr; der Stein wurde abends hingefahren und auf das Grab gelegt – und das Jahr darauf wurde er wieder hochgenommen, und der alte Preben kam zu seiner Frau hinunter. Sie hatten keine Reichtümer hinterlassen, wie die Leute geglaubt und erzählt hatten, was da war, kam zu den Anverwandten, weit entfernten, von denen man nie etwas gewußt hatte. Das Fachwerkhaus mit der Bank auf der hohen steinernen Treppe unter der Linde wurde vom Magistrat abgerissen, denn es war viel zu baufällig, als daß sie es hätten stehenlassen können. Später, als es mit der Klosterkirche ebenso gemacht und der Friedhof eingeebnet wurde, kam Prebens und Marthes Grabstein, wie alles von dort, an den, der ihn haben wollte, und nun trifft es sich so, daß er nicht zerschlagen und verbraucht worden ist, sondern auf dem Hofe liegt als Spielplatz für die Kleinen und als Abstellplatz für die gescheuerten Küchensachen der Mägde. Die gepflasterte Straße führt jetzt über die Grabstätte des alten Preben und seiner Ehefrau hinweg; ihrer erinnert sich niemand mehr!"
Und der alte Mann, der dies erzählte, schüttelte wehmütig den Kopf. ,,Vergessen! – Alles wird vergessen!" sagte er. Und dann unterhielt man sich in der Stube von anderen Dingen; aber der kleinste Junge da drinnen, ein Kind mit großen, ernsten Augen, kletterte auf den Stuhl hinter den Vorhängen und blickte auf den Hof hinunter, wo der Mond hell auf den großen Stein schien, der ihm sonst immer leer und platt vorgekommen war, der aber jetzt dalag wie eine ganze große Seite aus einem Geschichtenbuch. Alles, was der Junge von Preben und dessen Ehefrau vernommen hatte, lebte in diesem Stein; und er sah ihn an, und er sah zu dem hellen, klaren Mond empor, in die reine, hohe Luft, und es war gerade, als ob Gottes Antlitz auf die Erde niederleuchtete.
,,Vergessen – Alles wird vergessen!“ hieß es drinnen in der Stube, und in diesem Augenblick küßte ein unsichtbarer Engel Brust und Stirn des Jungen und flüsterte leise: „Bewahre das dir geschenkte Samenkorn gut auf, bewahre es auf für die Zeit der Reife! Durch dich, mein Kind, soll die verwischte Inschrift, der verwitternde Grabstein mit hellen, goldenen Zügen künftigen Geschlechtern vor Augen stehen! Das alte Ehepaar wird wieder Arm in Arm durch die alten Straßen wandeln und lächelnd mit frischen roten Wangen auf der steinernen Treppe unter der Linde sitzen und arm und reich zunicken. Das Samenkorn aus dieser Stunde wird mit den Jahren zu einer blühenden Dichtung aufgehen. Das Gute und das Schöne wird nicht vergessen, es lebt in Sagen und Liedern.“
Hans Christian Andersen
IV. GESUNGENE ERINNERUNGEN
Psalm
(1963)
Niemand knetet uns wieder aus Erde und Lehm,
niemand bespricht unsern Staub.
Niemand.
Gelobt seist du, Niemand.
Dir zulieb wollen
wir blühn.
Dir
entgegen.
Ein Nichts
waren wir, sind wir, werden
wir bleiben, blühend:
die Nichts-, die
Niemandsrose.
Mit
dem Griffel seelenhell,
dem Staubfaden himmelswüst,
der Krone rot
vom Purpurwort, das wir sangen
über, o über
dem Dorn.
Paul Celan
Der Tod der Weisen
Auf dem Grab von Hafes gab es eine Rose,
Die täglich von neuem blühte mit blutender Farbe.
Nachts weinte die Nachtigall, bis es Morgen wurde,
Mit ihrer Melodie, die an das alte Schiras erinnert.
Der Tod ist das sorgenfreie Frühlingsland für jeden
[Weisen.
Jahrelang schwebt seine Seele überall als Weihrauch.
Und auf seinem Grab unter kühlen Zypressen
Blüht jeden Morgen eine Rose, singt jede Nacht eine
[Nachtigall.
Yahya Kemal Beyatli
(Übertragung: Yüksel Pazarkya)
Ballade in der Stunde der Entmutigung
(1920)
I
Meine Jahre sind um und um.
Habe nichts gelernt, bin dumm.
Muß jetzt sterben, habe keine Religion
Bruder, gib mir Schnaps oder hilf mir davon?
2
Wasch dir dein Gesicht, wenn dir die Hand befleckt!
Mußt halt bitten, daß Moder und Kalk es verdeckt!
Es wird alles verbraucht und abgenutzt allhie
Aber meine blatternhäutige Seele, wie versteck ich sie?
3
So mich einer sieht in meinem Leichenhemd
Den bitte ich heut, daß er mir die Haare in die Augen kämmt
Er kann sich ja bekreuzen, doch wenn er erbleicht vor mir
So kann er erbleichen vor einem jeden Tier.
Bertold Brecht
SONNET LXXXI
Or I shall live your epitaph to make,
Or you survive when I in earth am rotten;
From hence your memory death cannot take,
Although in me each part will be forgotten.
Your name from hence immortal life shall have,
Though I, once gone, to all the world most die:
The earth can yield me but a common grave,
When you entombed in men’s eyes shall lie.
Your monument shall be my gentle verse,
Which eyes not yet created shall o’er-read;
And tongues to be your being shall rehearse,
When all the breathers of this world are dead;
You shall live – such virtue hath my pen –
Where breath most breathes, even in the mouths of men.
William Shakespeare
LXXXI. SONETT
Entweder leb’ ich, dir die Grabschrift zu ersinnen,
Oder du dauerst noch, wenn Moder mich verzehrt.
Dein Angedenken rafft kein Tod von hinnen,
Wenn auch von mir kein Lebender mehr hört.
Fortan unsterblich wird dein Name leben,
Wenn mich auf ewig Staub der Welt verbarg.
Mir kann die Erd’ ein schlechtes Grab nur geben;
Du ruhst in Menschenaugen eingesargt.
Mein Freundesvers wird sein dein Monument,
Daß dich noch ungeborne Augen lesen
Und kommender Geschlechter Mund dich nennt,
Wenn alle Atmer dieser Welt verwesen.
So hält dich da, wo Odem nie versiegt,
Auf Menschenlippen atmend mein Gedicht.
Nachdichtung:
Schillers Bestattung
Ein ärmlich düster brennend Fackelpaar, das Sturm
Und Regen jeden Augenblick zu löschen droht.
Ein flatternd Bahrtuch. Ein gemeiner Tannensarg
Mit keinem Kranz, dem kargsten nicht, und kein Geleit!
Als brächte eilig einen Frevel man zu Grab.
Die Träger hasteten. Ein Unbekannter nur,
Von eines weiten Mantels kühnem Schwung umweht,
Schritt dieser Bahre nach. Der Menschheit Genius war’s.
Conrad Ferdinand Meyer
Totenlied für Klabund
An Deine Bahre treten,
Klabund, in langer Reih,
Die Narren und Propheten,
Die Tiere und Poeten,
Und ich bin auch dabei.
Es kommen die Hamburger Mädchen
Samt Neger und Matros,
Wo werden sie jetzt ihre Pfundstück
Und all die Sorgen los?
Es kommen die englischen Fräuleins,
Wie Morcheln, ohne Kinn,
Wo sollen denn die Armen jetzt
Mit ihrer Unschuld hin?
Es kommt am Humpelstocke
Der Leierkastenmann
Und fängt aus tiefster Orgelbrust
Wie ein Hund zu heulen an.
Es kommt der Wilhelm Fränger,
Die Laute in der Hand,
Aus seinen Zirkusaugen rinnt
Statt Tränen blutiger Sand.
Es kommen alle Vögel
Und zwitschern ohne Ruh,
Sie decken Dich wie junge Brut
Mit flaumigen Federn zu.
Es kommt ein Handwerksbursche
mit rotem Augenlid,
Der kritzelt auf ein Telegramm-Formular
Dein schönstes Liebeslied.
Es kommt auf Beinen wie ein Reh
Ein dünner grauer Mann,
Der stellt die Himmelsleiter
Zu Deinen Füßen an.
Carl Zuckmayer
Nachruf
Meinem lieben Freunde H. C. Bodmer
an seinem Todestage, dem 28.Mai 1956
O Freund, daß du so früh gegangen bist!
Kahl dorrt um mich der Raum, der Wald einst war.
Vergessener alter Baum, steh ich allein.
Dich kannten wenige, und keiner ganz.
Verborgen unter flotter Maske
Des Reiters, Zechers, Offiziers, Mäzens
Lebte dein Strahlendes, dein heimliches Königtum.
Und daß du hinter straffer Herrenmiene
Hingabe hegtest, Demut, Liebeskraft
Fürs Große, Heilige, war Freunden nur
Des innern Kreises kund, ein Wissen,
Das wir als kostbares Geheimnis bargen.
Leb wohl, du Stürmischer, Unbändiger!
Dein Bild bewahr ich treu, das ritterliche.
Und lang am kahlgeschlagenen Hang
Betracht ich die verödete Stelle,
Ob der sich deine Krone einst gewiegt.
Hermann Hesse
Tristesse
J’ai perdu ma force et ma vie,
et mes amis et ma gaîté;
J‘ai perdu jusqu’à la fierté
Qui faisait croire à mon génie.
Quand j’ai connu la Vérité,
J’ai cru que c’était une amie;
Quand je l’ai comprise et sentie,
J’en étais déjà dégoûté.
Et pourtant elle est éternelle,
Et ceux qui se sont passés d’elle
Ici-bas ont tout ignoré.
Dieu parle, il faut qu’on lui réponde.
Le seul bien qui me reste au monde
Est d’avoir quelquefois pleuré.
Alfred de Musset
Trauer
Mein Leben, meine Kraft ist hin;
Mein Glück, die Freunde, mir erkoren,
Sogar den Stolz hab’ ich verloren,
Der Welt zu zeigen, was ich bin.
Wie einer treuen Führerin
Hatt’ ich der Wahrheit zugeschworen;
Seitdem sie Kinder mir geboren,
Ließ ich auch sie, gesättigt, ziehn.
Doch Keiner, der sie je besessen,
Die ewig jung, wird sie vergessen,
Da er durch sie gereift zum Mann.
Mir selber ist von ihrem Lieben
Mein höchstes Lebensgut geblieben:
Daß ich zuweilen weinen kann.
Nachdichtung: E. Geibel/H. Leutpold
Hektor und Achill (I)
Auch Alexander starb. Es starb der weise
Und zungenschnelle Sokrates. Der Held
Achill. Held Hektor auch. O grause Welt!
Die Kinder sterben und die grauen Greise.
Dem wird ein Scheiterhaufen aufgestellt,
Den schickt das Gift auf seine letzte Reise,
Und den das Schwert. Und keiner hats gewählt.
Verschieden ist der Weg, die Art und Weise,
Und gleich das Ziel. Dann schließen sich die Türen,
Die in das unbekannte Drüben führen,
Für immer zu. Und nie ward es vernommen,
Daß jemals einer wär zurückgekommen,
Um uns bestaubt und atemlos zu sagen,
Ob jetzt Achill und Hektor sich vertragen.
Georg Britting
Gruß
Wo Ist der Schmerzenslaut, durchbohrt vom Nagel,
Wo ist Prometheus, der den Felsen stützte, trug?
Und wo der Geier, seine Krallen, die da jagen,
Sein gelbes Auge und sein finstrer Flug?
Tragödien – nie mehr, sie sind verstummt, uns fern,
Doch diese Lippen dringen vor auf ihrem Weg:
Zum Lastenträger Aischylos, bis in den Kern,
Und hin zu Sophokles, der Bäume schlägt.
Er ist der Hall, und Gruß, Signal, nein dies: der Pflug.
Aus Luft und Stein: Theaterrund der Zeiten
Stand auf – denn alle wollen sie sich sehen nun:
Geborene, die Abgrundnahen und – die ohne Tod hier
weiterschreiten.
Ossip Mandelstam
(Übertragung: Ralph Dutli)
Zuflucht noch hinter der Zuflucht
Für Peter Huchel
Hier tritt ungebeten nur der wind durchs tor
Hier
ruft nur gott an
Unzählige leitungen läßt er legen
vom himmel zur erde
Vom dach des leeren kuhstalls
aufs dach des leeren schafstalls
schrillt aus hölzerner rinne
der regenstrahl
Was machst du, fragt gott
Herr, sag ich, es
regnet, was
soll man tun
Und seine antwort wächst
grün durch alle fenster
Reiner Kunze
Grabinschrift
I
An nichts litt er in dieser Welt so sehr
Wie an seinem Hühnerauge.
Sogar, daß er häßlich war,
Störte ihn nicht sonderlich.
Wenn seine Schuhe zufällig nicht drückten,
Dachte er nicht gleich an den Namen Gottes,
Aber ungläubig konnte man ihn auch nicht nennen.
Schade um Süleyman Efendi.
II
Kein Problem und keine Frage war
To be or not to be für ihn.
Eines Abends schlief er ein
Und wachte nicht mehr auf.
Man nahm ihn und trug ihn fort.
Man wusch ihn, sprach das Totengebet, er wurde begraben.
Wenn seine Gläubiger von seinem Tod hören,
Werden sie ihm sicher gern seine Schulden erlassen.
Was seine Forderungen betrifft,
Forderungen hatte der Selige keine.
III
Sein Gewehr brachte man ins Depot.
Seine Kleider bekam ein anderer.
In seinem Leinensack keine Kruste Brot,
Keine Spur seiner Lippen mehr an seiner Wasserflasche.
Ein Wind,
Weggeweht.
Nicht einmal sein Name blieb als Erinnerung.
Nur dieser Zweizeiler
Am Kamin des Cafés in seiner Handschrift:
„Der Tod ist Gottes Gebot,
Wenn er nur keine Trennung wäre.“
Rhan Veli Kanik
(Übertragung: Yüksel Pazarkaya)
V. KURZWEIL IST DES TOTEN WANDERSCHAFT
Trost
Wenn in langen trüben Stunden
Unser Herz beinah verzagt,
Wenn, von Krankheit überwunden,
Angst in unserm Innern nagt;
Wir der Treugeliebten denken,
Wie sie Gram und Kummer drückt,
Wolken unsern Blick beschränken,
Die kein Hoffnungsstrahl durchblickt,
O dann neigt sich Gott herüber,
Seine Liebe kommt uns nah,
Sehnen wir uns dann hinüber,
Steht ein Engel vor uns da,
Bringt den Kelch des frischen Lebens,
Lispelt Mut und Trost uns zu,
Und wir beten nicht vergebens
Auch für die Geliebten Ruh.
Novalis
Am vierten Sonntag nach Ostern
Nicht eine Gnadenflamme hehr
Vor deinem Volke soll ich gehn,
Nein, ein versteinert Leben schwer
Wie Sodoms Säule muß ich stehn
Und um mich her
Die Irren träumend schwanken sehn.
Und ob auch Öde mich umgibt,
Oh mich erstickt der Nebel fast,
Mir Wirbelsand die Augen trübt,
Doch weiß ich, daß mein Sein dich faßt,
Daß es dich liebt,
Und daß du mich gesendet hast.
Den Lebenshauch halt ich von dir,
Unsterblich hast du mich gemacht;
Nicht Glut, nicht Dürre schadet mir,
Ich weiß, ich bin in deiner Wacht,
Und muß ich hier
Auch stehn wie ein Prophet der Nacht.
Ich hebe meine Stimme laut,
Ein Wüstenherold für die Not:
Wacht auf, ihr Träumer, aufgeschaut!
Am Himmel brennt das Morgenrot.
Nur aufgeschaut!
Nur nicht zurück, dort steht der Tod!
Nur aufgeschaut, nur nicht zurück!
Laßt Menschenweisheit hinter euch!
Sie ist der Tod; ihr schnödes Glück
Ist übertünchtem Grabe gleich.
O hebt den Blick!
Der Himmel ist so mild und reich.
Friedrich Hebbel
Wandrers Nachtlied
Der du von dem Himmel bist,
Alles Leid und Schmerzen stillest,
Den, der doppelt elend ist,
Doppelt mit Erquickung füllest,
Ach, ich hin des Treibens müde!
Was soll all der Schmerz und Lust?
Süßer Friede,
Komm, ach komm in meine Brust!
Johann Wolfgang Goethe
Wege
In wenigen Stunden
Hat Gott das Rechte gefunden.
Wie? Wann? Und Wo? – Die Götter bleiben stumm!
Du halte Dich ans Weil und frage nicht Warum?
Willst du ins Unendliche schreiten,
Geh nur im Endlichen nach allen Seiten.
Johann Wolfgang von Goethe
Nach dem Tod
Wir starben und erwarteten vom Tod einiges.
In einer großen Leere wurde das Geheimnis gelöst.
Unmöglich, sich an dieses Lied nicht zu erinnern,
Ein Stück Himmel, das Zweigbündel, die Vogelfeder,
Das Leben war etwas Vertrautes für uns.
Nun keine Nachricht mehr aus dieser Welt;
Keiner mehr sucht und fragt nach uns.
So finster ist unsere Nacht,
Daß es einerlei ist, ob wir ein Fenster haben oder nicht;
Kein Spiegelbild mehr haben wir im Flußwasser.
Hit Sitki Taranci
(Übertragung: Yüksel Pazarkya)
Manas
(1927)
“Schnee sein, Wind sein,
Durch die Luft tropfen,
In den Boden sickern.
Wer hat den Tod erfunden?
Schmelzen, schwinden,
Nicht zu wissen von gestern, morgen,
Nicht zu wissen von mir,
Nicht zu wissen, nicht zu wissen.”
Alfred Döblin
Vom Tod
(1947)
Ich hatte derart unerträgliche Zeiten durchzustehen, daß mir der Tod als etwas Köstliches erschien. Seither ist mir die Gewohnheit geblieben, ihn nicht zu fürchten und ihn auszuforschen, Auge in Auge.
Paul Eluard erstaunte mich, als er sein Erschrecken darüber äußerte, daß ich unter der Maske des Baron Fantôme, der zu Staub zerfällt, dem Tod die Stirn biete. Leben verwirrt mich mehr als Sterben. Ich habe weder Garros noch Jean Le Roy, weder Raymond Radiguet noch Jean Desbordes tot gesehen. Meine Mutter, Jean de Polignac, Jean Giraudoux, Edouard Bourdet sind die Toten, denen ich letzthin an ihrem Sterbelager begegnete. Mit Ausnahme von Jean de Polignac habe ich sie alle gezeichnet, und man ließ mich mit ihnen lange in ihren Zimmern allein. Ich habe sie ganz in der Nähe betrachtet, um den Konturen mit dem Blick zu folgen. Ich faßte sie an, ich bewunderte sie. Denn der Tod arbeitet seine Statuen sorgfältig aus. Er streicht ihre Falten glatt. Ich konnte mir noch so sehr einreden, daß sie das, was uns beschäftigt, nichts mehr angehe und daß ungeheuerliche Klüfte sie von mir trennten, ich verspürte gleichwohl, daß wir uns so nahe waren wie die zwei Prägeseiten einer Münze, die sich nicht kennen und doch nur durch die Dicke des Metalls voneinander geschieden sind.
Ginge es mir nicht allzu nahe, geliebte Menschen, die von mir noch einigen Bestand erhoffen können, zu verlassen, so würde ich voller Spannung erwarten, daß der Schlagschatten, der dem Tod vorausgeht, mich erreicht und sich immer mehr verkürzt. Ich würde einen überraschenden Gnadenstoß nicht schätzen und auch nicht, daß der Tod sein Geschäft weitschweifig hinzieht, bis zur äußersten Grenze, an der er uns endlich gnädig den Rest gibt. Ich möchte vielmehr von jenen, die mir nahestehen, Abschied nehmen können und mich vergewissern, daß mein Werk sich frohgemut anschickt, meinen Platz einzunehmen.
Von allem, was den Tod betrifft, stößt mich nichts ab, außer dem Pomp, mit dem man ihn umgibt. Bestattungen verleiden mir die Erinnerung. Beim Begräbnis von Jean Giraudoux sagte ich zu Lestringuez: “Gehen wir! Er ist nicht gekommen”. Ich stellte mir vor, daß er in irgendeinem Keller des Palais Royal ins Spiel mit dem Billardautomaten versunken sei.
Die Leichenfeier für Bourdet war eisig. Es fror und die Fotografen bestiegen die Kanzel, um uns aufzunehmen und ihr Magnesium abzubrennen.
Das Hinscheiden meiner Mutter war auch für mich sanft gewesen. Sie war nicht kindisch geworden. Sie war in ihre Kindheit zurückgekehrt, sah mich wieder in der meinen, wähnte mich im Gymnasium, sprach mit mir in allen Einzelheiten über Maisons-Laffitte und härmte sich nicht ab. Der Tod brauchte ihr nur zuzulächeln und sie still bei der Hand zu nehmen. Aber unsre Begräbnisstätte, der Friedhof auf dem Montmartre, ist mir ein Ärgernis. Man stellt uns dort ab, wie in einem Schuppen. Und die Besoffenen, die über die Brücke torkeln, pissen auf uns herab.
Gestern besuchte ich einen Bergfriedhof. Mit seiner Handvoll Gräbern lag er unterm Schnee. Von ihm aus folgt der Blick der ganzen Alpenkette. Zwar erscheint’s mir
lächerlich, seine letzte Ruhestätte auszusuchen, aber ich dachte an mein Montmartreloch und bedauerte, daß man mich nicht hier oben in die Erde legt.
Nach dem Ableben von Jean Giraudoux veröffentlichte ich einen Abschiedsbrief, der mit den Worten schloß: “Ich werde nicht lange brauchen, um dich einzuholen”. Man schalt mich wegen dieses Satzes, den man pessimistisch und mutlos fand. Er war es ganz und gar nicht. Ich wollte damit nur sagen, daß es sich, sollte ich auch hundert Jahre alt werden, nur um Minuten handeln kann. Das aber wollen die wenigsten Leute zugeben, die anderen sehen nicht, daß wir unseren Beschäftigungen nachgehen und Karten spielen in einem Expreßzug, der dem Tod entgegenjagt.
Wenn selbst Mutter Angelika in den Mauern von Port-Royal den Tod fürchtet, wer sollte ihn dann noch als Segen empfinden? Da ist’s schon besser, ihn festen Fußes zu erwarten. Es ist Selbsterniedrigung, wenn man nur ihn im Sinne hat, und schnöder Undank, wenn man sich entschuldigt, daß man existiere, als ob das Leben nur ein Versehen des Todes wäre. Werden denn diejenigen besser daran sein, die sich in eine Zelle einschließen und angstzitternd die Akten ihres Prozesses durchforschen? Das Gericht wird nicht danach fragen. Sein Urteilsspruch liegt von vornherein fest. Sie werden nur ihre Zeit vertrödelt haben.
Am besten verhält sich, wer die ihm zugestandene Zeit nützt und sich nicht damit abgibt, über sich selbst zu Gericht zu sitzen. Menschliche Dauer wird nur dem geschenkt, der sich den Augenblick zurechtknetet und ihm Bildgestalt verleiht und sich im übrigen nicht um den Urteilsspruch kümmert.
Ich hätte gar manches noch zu diesem Thema zu sagen und wundere mich nur, daß so viele Leute es sich über das Maß zu Herzen nehmen, denn schließlich wohnt der Tod ja beständig in uns, und so sollte man sich mit ihm abfinden. Weshalb denn dieses Heulen und Zähneklappern gegenüber einer Person, mit der man zusammenlebt und die unserem Wesen aufs innigste verbunden ist? Der Grund liegt auf der Hand. Man hat sich daran gewöhnt, aus dem Tod ein Schreckgespenst zu machen und ihn nach dem äußeren Anschein zu beurteilen. Man tut besser daran, wenn man sich sagt, daß man von Geburt an mit ihm verschwägert und verschwistert ist, und wenn man seine Wesensart hinnimmt, so hinterhältig sie auch sein mag. Denn er versteht’s, sich zu verheimlichen und uns glauben zu lassen, er bewohne nicht mehr sein Haus. Und doch beherbergt jeder seinen Tod und tröstet sich darüber mit dem Wahn hinweg, der Tod sei nur eine allegorische Figur, die erst am Schluß des letzten Akts erscheint.
Als erprobter Meister der Mimikry ist er selbst dann gegenwärtig, wenn wir ihn am fernsten glauben: in unserer Lebenslust. Er ist in unsrer Jugend. Er ist in unsrer Reife. Er ist in unsrer Liebe.
Je weniger Zeit mir noch verbleibt, desto mehr reckt er sich auf. Desto mehr macht er sich breit. Desto mehr hat er die Hand im Spiel. Desto emsiger geht er an seine Tüftelarbeit. Er gibt sich immer weniger Mühe, mich hinters Licht zu führen.
Sein großer Tag aber ist, wenn man Schluß macht. Dann tritt er aus uns heraus und schließt uns hinter sich ab.
Jean Cocteau
Herbst
(1902)
Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.
Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.
Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.
Rainer Maria Rilke
Stammbuchblatt für einen Unbekannten
Es erschreckt uns,
Unser Retter, der Tod. Sanft kommt er
Leis im Gewölke des Schlafs,
Aber er bleibt fürchterlich, und wir sehen nur
Nieder ins Grab, ob er gleich uns zur Vollendung
Führt aus Hüllen der Nacht hinüber
In der Erkenntnisse Land.
Friedrich Hölderlin
Gegangen das geliebte Wesen
Und jenseits des Schmerzes wisse
Kurzweil ist des Toten Wanderschaft
Den weißen Wolken endet keine Zeit
Wang Wei
Brief von einem toten Freund
Ich lebe so wie früher
Gehe spazieren und denke…
Nur fahre ich ohne Fahrkarte mit dem Schiff und dem Zug
Und kaufe ein ohne feilschen zu müssen.
Nachts bin ich in meiner Wohnung, es geht mir gut
(Könnte ich doch auch das Fenster öffnen, wenn es mir
[langweilig wird)
Ach … mich am Kopf kratzen, Blumen pflücken,
Hände drücken möchte ich manchmal.
Melih Cevdet Anday
(Übertragung: Yüksel Pazarkya)
VI. SPRECHEND VERSTUMMEN
Stehen im Schatten
Stehen im Schatten
Des Wundenmals in der Luft.
Für-niemand-und-nichts-Stehn.
Unerkannt,
für dich
allein.
Mit allem, was darin Raum hat,
auch ohne
Sprache.
Paul Celan
Ich beginne zu sprechen vom Tod
(1922)
I
Ich beginne zu sprechen vom Tod
Viele Irrglauben sind verbreitet
Aber wenn man den Wunsch von der Furcht abscheidet
Kommt uns die erste Ahnung von dem, was uns droht
Die Welt gewinnt, wer das vergißt:
Daß der Tod ein halber Atemzug ist
2
Denn das ist kein Atemzug
Den zu tun noch uns dann verbleibt
Und das ist nicht das Genug
Sondern es ist das Zuwenig, was uns den Angstschweiß austreibt
Weise ist, wer darin irrt
Und meint, daß er sterbend fertig wird
3
Die Dinge sind, wie sie sind
Ein Gaumen ist immer ein Gaumen, ein Daumen ein Daumen
Aber deinem japsenden Gaumen
Langt nicht ein Wirbelwind
Dein Hals ist angesägt und leck
Dein Atem pfeift aus dem Spalt hinweg
4
Dieses wächserne Grubenlicht
Diese steifen Finger auf deinen Leinen
Die Esser um dich mit dem kalten Weinen
Glaub nicht, du merkst sie nicht
Was da um dich steht und da so weint
Das war der Mensch, das war dein Feind
5
Du kannst ihn nicht fressen mehr
Deine Zähne sind lang wie Rechen
Aber die werden die Nacht noch brechen
Also bleibt dir von nun an der Magen leer
Bertold Brecht
Mein Sterbelied:
„Bin welk und mürbe –
Mir ist, als ob ich stürbe –
Ja, gestorben bin.“
Entblättert ist mein Sinn –
Das Licht meiner Augen trübe.
Der Himmel meiner Liebe
Sank in die Grube,
In mein steiles Kinn.
Es blühen in meiner Stube
Deine Lieblingsblumen zwischen Immergrün
Und meinem Rosmarin.
Doch alle beglückenden Farben
Seit meines Lebens Anbeginn
Aus meinem Leben entfliehn,
Die mich ganz bunt umwarben –
Starben…
Um mit dem Wolkenbild
In die Himmlischkeit zu ziehn.
Else Lasker-Schüler
Elegie (II)
So manches haben wir einst im Scherz
für den Fall des Tods abgemacht:
daß alles schon heute so eingetroffen,
hätte niemand gedacht!
Die Kleider hab ich längst weggeschenkt,
bald sehe ich keines mehr,
einzig von deinen Handarbeiten
gebe ich keine her.
Die alten Gefühle vermag ich nur noch
auf die Diener und Mägde zu wenden,
sooft du mir im Traum erscheinst,
schenk ich mit vollen Händen.
Ich weiß sehr wohl, daß dieser Schmerz
allen Menschen gemein,
doch die Armut damals bereitet mir heute
noch hundertfache Pein!
Yuan Zhen
Selbstgespräch
(Monolog der Hekuba, aus den „Troerinnen“)
Hekuba:
Steh auf.
Hoch den Kopf.
Widersetze dich dem Wunsch
liegen zu bleiben und
übe dich in Geduld.
Wenn ich nur wüßte
wozu…
Troja ist nicht mehr.
Und Fürstin von Troja – bist du nicht mehr.
Traurige Erinnerungen nützen nicht,
übertrifft doch die Gegenwart alles gewesene Unglück.
Segle mit dem Schicksalswind, nur
ein Tor schwimmt gegen den Strom.
– ich treibe. –
Was faselst du da?
Gibt es menschliches Leiden, das
ich noch nicht kenne?
Was,
kann mir noch geraubt werden?
Heimat, Kinder und Mann
Recht und Würde – alles ist verloren.
Verbrannt, ermordet, geschändet.
Die Töchter entrechtet als
Spielzeug machttrunkener Griechen.
Ich kann nicht aufhören, muß mich wehren.
(…)
Wer hört mein Schreien,
und wer mein Schweigen?
Ich bin nur noch
klagender Ruf.
Versteinere
wie der Grund,
auf dem du liegst.
Tu was du willst,
die Schmerzen bleiben.
Taub sind meine Glieder.
Doch ich bin kein Stein.
Es hämmern die Schläfen,
es pocht der Kopf.
Die Wirbel des geschundenen Rückens,
könnt ich sie strecken
und dehnen –
wo such ich Trost?
Ich rede zuviel,
schweigen ist nicht besser,
als reden.
Und weinen?
Ich habe keine Tränen mehr.
Niemand wird uns
helfen.
Das Ende vor Augen
habe ich noch meine Stimme.
Hört mich wer?
Ihr schlanken Schiffe,
wohin zogt ihr vor zehn Jahren?
Mit kräftigen Rudern und geblähten Segeln
pflügten eure Kiele das purpurfarbene Meer
getrieben vom Racheschwur
und der Sehnsucht eines Mannes
nach seiner entlaufenen Frau
stießen eure gebogenen Schnäbel
in die Meeresbucht Trojas, bissen sich fest
und brachten den Tod.
Helena war der Name dieser Frau,
er bedeutet jetzt Krieg.
Das ist der Grund,
warum diese Stadt in Trümmern liegt,
der Grund,
warum ein ganzes Volk sterben mußte,
der Grund,
warum diese Frauen hier zu
lebenden Toten wurden
und ich
verwüstet und kahlgeschoren
als Kriegsgefangene unter ihnen.
Das alles um Eures Ruhmes willen?
Auf ihr Frauen,
Witwen, Verlobte der Toten und Mädchen ohne Zukunft
wir wollen nicht schweigen.
Klagt!
Lobt nicht länger
unsere Götter.
Euripides
(Übertragung: Emmanuel Bohn)
Klage
Uns ist kein Sein vergönnt. Wir sind nur Strom,
Wir fließen willig allen Formen ein:
Dem Tag, der Nacht, der Höhle und dem Dom,
Wir gehn hindurch, uns treibt der Durst nach Sein.
So füllen Form um Form wir ohne Rast,
Und keine wird zur Heimat uns, zum Glück, zur Not,
Stets sind wir unterwegs, stets sind wir Gast,
Uns ruft nicht Feld noch Pflug, uns wächst kein Brot.
Wir wissen nicht, wie Gott es mit uns meint,
Er spielt mit uns, dem Ton in seiner Hand,
Der stumm und bildsam ist, nicht lacht noch weint,
Der wohl geknetet wird, doch nie gebrannt.
Einmal zu Stein erstarren! Einmal dauern!
Danach ist unsre Sehnsucht ewig rege,
Und bleibt doch ewig nur ein banges Schauern,
Und wird doch nie zur Rast auf unsrem Wege.
Hermann Hesse
Lieder von einer Insel
(1954)
…
Wenn einer fortgeht, muß er den Hut
mit den Muscheln, die er sommerüber
gesammelt hat, ins Meer werfen
und fahren mit wehendem Haar,
er muß den Tisch, den er seiner Liebe
deckte, ins Meer stürzen,
er muß den Rest des Weins,
der im Glas blieb, ins Meer schütten,
er muß den Fischen sein Brot geben
und einen Tropfen Blut ins Meer mischen,
er muß sein Messer gut in die Wellen treiben
und seinen Schuh versenken,
Herz, Anker und Kreuz,
und fahren mit wehendem Haar!
Dann wird er wiederkommen.
Wann?
Frag nicht.
…
Ingeborg Bachmann
Klage
Er war mein Nord, mein Süd,
mein Ost und West,
Meine Arbeitswoche
und mein Sonntagsfest,
Mein Gespräch, mein Lied,
mein Tag, meine Nacht,
Ich dachte, Liebe währet ewig:
Falsch gedacht.
Die Sterne sind jetzt unerwünscht,
löscht jeden aus davon,
Verhüllt auch den Mond
und nieder reißt die Sonn’,
Fegt die Wälder zusammen
und gießt aus den Ozean,
Weil nun nichts mehr
je wieder gut werden kann.«
Haltet alle Uhren an,
laßt das Telefon abstellen,
Hindert den Hund daran,
den saftigen Knochen anzubellen,
Klaviere sollen schweigen,
und mit gedämpftem Trommelschlag,
Laßt die Trauernden nun kommen,
tragt heraus den Sarg.
Laßt Flugzeuge kreisen,
klagend im Abendrot,
An den Himmel schreibend
die Botschaft. Er ist tot;
Laßt um die weißen Hälse der Tauben
Kreppschleifen schlagen
Und Verkehrspolizei schwarze
Baumwollhandschuh’ tragen.
W.H. Auden
Der Brunnen
Im verbrannten Hof
Steht noch der Brunnen
Voll Tränen
Wer weinte sie
Wer trinkt seinen Durst leer
Rose Ausländer
Todesfuge
Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
wir trinken und trinken
wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar
Margarete
er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne
er pfeift seine Rüden herbei
er pfeift seine Juden hervor läßt schaufeln ein Grab in der Erde
er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz
Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich morgens und mittags wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar
Margarete
Dein aschenes Haar Sulamith wir schaufeln ein Grab in den Lüften
da liegt man nicht eng
Er ruft stecht tiefer ins Erdreich ihr einen ihr andern singet und spielt
er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingts seine Augen sind blau
stecht tiefer die Spaten ihr einen ihr andern spielt weiter zum Tanz auf
Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags und morgens wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith er spielt mit den Schlangen
Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland
er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft
dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng
Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland
wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken
der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau
er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft
er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein Meister
aus Deutschland
dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith
Paul Celan
VII. SCHATTEN WELTEN
Laeja und Lingeo
Eine Frau gebar einen Knaben. Am gleichen Tage wollte man ihm einen Namen geben. Der Knabe sagte: „Laßt, ich weiß alles sehr gut. Ich will Lingeo heißen.” Der Knabe schlief drei Tage, dann war er ein ausgewachsener Mann. Am fünften Tage sagte sein Vater Laeja: „Wir wollen in den Busch gehen, um Früchte der Mba (Ngaschi-Palme) zu schlagen.” Sie gingen in den Busch. Jeder ging in eine andere Richtung. Nach einiger Zeit fand Laeja zwei Bäume; der eine hatte zwei, der andere vier Fruchtbündel. Laeja rief: „Lingeo, komm!” Lingeo sagte: „Ich weiß schon, du hast zwei Mba gefunden; der eine Baum hat zwei, der andere Baum vier Fruchtbündel.” Laeja sagte (für sich): „Was ist das für ein Knabe, der das alles weiß? Er ist geboren, er spricht; er ist drei Tage alt, da ist er erwachsen! Was soll das bedeuten?”
Lingeo kam. Er stieg auf eine Mba. Er schlug die Blätter. Er wollte die Früchte abhacken. Lingeo rief: „Vater, geh beiseite, daß die Früchte dich nicht treffen!” Laeja sagte: „Ich weiß”. Die Früchte stürzten herab und trafen Laeja auf den Kopf. Sie zerdrückten Laeja. Laeja starb. Aber Laeja hatte ein starkes Zaubermittel. Laeja teilte sich. Der eine Laeja blieb unter dem Palmbaum liegen, der andere Laeja ging schnell ins Dorf. Lingeo sah ihn nicht.
Lingeo rief: „Vater!” Der Vater antwortete nicht. Lingeo rief nochmals: „Vater!”
Laeja antwortete nicht. Lingeo stieg vom Baum herab. Lingeo fand den Vater unter dem Baume tot. Lingeo lief schnell in das Dorf. Er traf den andern Laeja. Er war lebend und gesund und fegte das Dorf. Lingeo lief schnell in den Wald zurück. Da lag Laeja und war gestorben. Lingeo lief schnell in das Dorf. Da sah er Laeja die Wege fegen. Lingeo lief fünf- bis sechsmal hin und her und verglich die beiden Laeja. Endlich blieb er vor dem Laeja im Dorf stehen und fragte: „Bist du mein Vater?” Laeja sagte: „Du weißt ja alles. Ich hin nicht dein Vater. Dein Vater ist im Wald gestorben.” Lingeo lief zu seiner Mutter und sagte: „Im Wald ist mein Vater von Mbafrüchten erschlagen. Der Mann hier hat die gleichen Augen, Mund, Nase, Ohren, Arme, Füße. Ist er mein Vater?” Die Mutter sagte: „Du sagtest: ‘Ich weiß alles’. Weißt du dieses nicht?”
Afrikanische Märchen
(Bassonge)
Anruf
(vor 1958)
Die Zeit ist ausgelöscht
o Herr
mein Wort das bitter kam
und finster
Herr
zu finster für die Erde
ausgelöscht ist meine Qual
mein Hunger ausgetrunken
und mein Herz in Nächten
die zerpflügt sind
mit dem Pflug der Lieder
die Zeit ist ohne End’
doch voll der Träume Not
die mich nicht will
auf meinem Stein des Sterbens.
Thomas Bernhard
La mort des artistes
Combien faut-il de fois secouer mes grelots
Et baiser ton front bas, morne Caricature?
Pour piquer dans le but, de mystique nature,
Combien, ô mon carquois, perdre javelots?
Nons userons notre âme en de subtils complots,
Et nons démolirons mainte lourde armature,
Avant de contempler la grande Créature
Dont l’infernal désir nous remplit de sanglots
Il en est qui jamais n’ont connu leur Idole,
Et ces sculpteurs damnés et marqués d’un affront,
Qui vont se martelant la poitrine et le front,
N’ont qu’un espoir, étrange et sombre Capitole!
C’est que la Mort, planant comme un soleil nouveau,
Fera s’épanouir les fleurs de leur cerveau!
Charles Baudelaire
Der Tod der Künstler
Wie lange werd ich fröstelnd beben müssen
Und, spottgestalt! die flache stirn dir küssen,
Wie viele pfeile fliehn aus meinen köchern
Die mystisch ferne scheibe zu durchlöchern?
Wir zehren unsre kraft in spitzen plänen,
Wir werden manche harte wehr zerhauen
Eh wir die große kreatur beschauen –
Ihr höllisches gelüst erzwingt uns tränen.
So manche fanden niemals ihr Idol,
verwünschte bildner die die schande geißelt
Und deren hand dir haupt und busen meißelt
Mit einer hoffnung, düstres kapitol,
Daß einst der Tod, ein neues tag-gestirn,
Die blumen sprießen läßt in ihrem hirn.
Übertragung: Stefan George
Grabschrift des Boethius auf seine erste Frau, Helpes
(ca. 510 n. Chr.)
Ich, die ich Elpes hieß, war ein sizilisch Kind,
Doch hat mein Ehgemahl mein Wohnhaus weit versetzet,
Ohn den mich weder Tag, noch Nacht, noch Stund ergötzet;
Der war mein Geist und Fleisch, wie recht Verliebte sind.
Dieweil denn er noch lebt, bin ich nicht ganz davon.
Mein größtes Seelenteil wird von mir übrig bleiben,
Mein Leichnam ruht, als fremd in diesen heilgen Läuben,
Und harrt, zum Zeugnis fort, auf Gottes Richterthron.
Niemand berühr mein Grab, es sei denn daß dabei
Mein Liebster seinen Leib zu meinem wolle fügen;
Daß wir zugleich allhier, wie vor im Bette liegen,
Und unser Staub verknüpft, wie unser Leben, sei.
Luicius Severinus Boethius von Rom
(übertragen von Melmont)
Pleuro
(ca. 480 v. Chr.)
(…)
Pleuro. Da schwand mir das süße Leben,
Ich merkte, die Kraft sank,
O! Beim letzten Hauch elend brach ich in Tränen aus,
So holde Blüte lassend.
Sie sagen, der furchtbare
Sohn Amphitryons nur diesmal
Habe die Wimper benetzt, des leidgeprüften
Mannes Verhängnis bejammernd.
Auch Ihm im Wechsel
Sagt’ er: “Der Menschen Bestes wäre nie geborn zu sein,
Nie Helios’ Licht erblickt zu
Haben. Da aber kein Vorteil ist
Dies zu beklagen,
Muß man bereden, was zu erfüllen. –
Gibt es in den Gemächern
Des Aresfreunds Oineus
Eine Jungfrau noch von den Töchtern,
Dir an Gestalt gleich?
Die will zur heitern Gemahlin ich gern haben.”
Ihm der tapfere
Schatten erwiderte Meleagros’:
“Ich ließ zurück mit blühendem Nacken
Im Hause Deianeira,
Unkundig noch der goldenen
Kypris, der menschenbezaubernden.”
Weißarmige Kalliope,
Halte den wohlgefügten Wagen
Hier an. Auf Kronos’ Sohn
Sei gesungen, den Olympischen, ersten der Götter,
Den unermüdlich strömenden
Alpheus, des Pelops Macht
Und Pisa, von wo der berühmte,
Auf Füßen siegende, im Lauf
Kam Pherenikos zum getürmten Syrakus,
Dem Hieron bringend
Das Glücksreis.
Man muß der Wahrheit zuliebe
Loben, den Neid mit beiden
Händen fernhaltend,
Wenn einer Glück hat der Sterblichen.
Der Boiotische Mann so sprach, der süßen
Diener, Hesiodos,
Der Musen: Wen die Unsterblichen ehren, dem
Auch der Sterblichen Ruhm folgt. –
Ich glaube gewiß,
Daß des Pfades rühmende Zunge zu Recht
Sang dem Hieron. Daher nämlich
Die Wurzeln sprießen des Glücks;
Die möge der Allvater
Zeus unerschütterlich in Frieden beschirmen.
Bakchylides von Keos
(übertragen von Curt Hohoff)
Traurigkeit
Die mir noch gestern glühten,
Sind heut dem Tod geweiht,
Blüten fallen um Blüten
Vom Baum der Traurigkeit.
Ich seh sie fallen, fallen
Wie Schnee auf meinen Pfad,
Die Schritte nicht mehr hallen,
Das lange Schweigen naht.
Der Himmel hat nicht Sterne,
Das Herz nicht Liebe mehr,
Es schweigt die graue Ferne,
Die Welt ward alt und leer.
Wer kann sein Herz behüten
In dieser bösen Zeit?
Es fallen Blüten um Blüten
Vom Baum der Traurigkeit.
Hermann Hesse
L’epitaphe Villon
Freres humains qui après nous vivez,
N’ayez les cuers contre nous endurcis,
Car, se pitié de nous povres avez,
Dieu en aura plus tost de vous mercis.
Vous nous voiez cy attachez cinq, six:
Quant de la chair, que trop avons nourrie,
Elle est pieça devorée et pourrie,
Et nous, les os, devenons cendre et pouldre.
De nostre mal personne ne s’en rie;
Mais priez Dieu que tous nous vueille absouldre!
Se freres vous clamons, pas n’en devez
Avoir desdaing, quoy que fusmes occis
Par justice. Toutesfois, vous sçavez
Que tous hommes , n‘ont pas bon sens rassi;
Excusez nous, puis que sommes transsis,
Envers le fils de la Vierge Marie,
Que sa grace ne soit pour nous tarie,
Nous preservant de l‘ifernale fouldre.
Nous sommes mors, ame ne nous harie;
Mais prie Dieu que tous nous vueille absouldre!
François Villon
Ballade von den Gehenkten
Ihr Menschenbrüder, die ihr nach uns lebt,
verhärtet euer Herz nicht gegen unsre Pein.
Denn wenn erbarmend ihr den Blick zu uns erhebt,
wird Gott euch desto eher gnädig sein.
Hier seht ihr uns gehenkt, zu sechst und siebt,
und unser Fleisch, zu wohlgenährt, zu sehr geliebt,
ist längst verfault, verwest und abgefallen schon.
Zu Staub und Asche modert unser dürr Gebein.
Drum spottet unser nicht, spart euern Hohn
und bittet Gott, er möge uns verzeihn.
Wenn wir euch Brüder heißen, zürnt uns bitte nicht.
Ihr seht im Wind uns baumeln hier am Hochgericht.
So wisset denn: es traf uns der verdiente Lohn.
Gedenkt, nicht jeder kann gesetzten Sinnes sein.
Legt Fürbitt ein für uns bei Gottes hehrem Sohn,
daß seine Huld und Gnade uns nicht sei verloren
und uns bewahre vor des Höllenpfuhles Pein.
Tot sind wir, und die Toten läßt man ungeschoren.
Doch bittet Gott, er möge uns verzeihn.
Übertragung: Walter Widmer
Dein
Dein
Hinübersein heute Nacht.
Mit Worten holt ich dich wieder, da bist du,
alles ist wahr und ein Warten
auf Wahres.
Es klettert die Bohne vor
unserm Fenster: denk
wer neben uns aufwächst und
ihr zusieht.
Gott, das lasen wir, ist
ein Teil und ein zweiter, zerstreuter:
im Tod
all der Gemähten
wächst er sich zu.
Dorthin
führt uns der Blick,
mit dieser
Hälfte
haben wir Umgang.
Paul Celan
Klein Sterbelied
So still ich bin,
All Blut rinnt hin.
Wie weich umher.
Nichts weiß ich mehr.
Mein Herz noch klein;
Starb leis an Pein.
War blau und fromm!
O Himmel, komm.
Ein tiefer Schall –
Nacht überall.
Else Lasker-Schüler
Der Engel des Todes
Es war einmal ein altes Ehepaar, das hatte einen Sohn. Der Vater war Schreiner, der Sohn war Schneider. Eines Tages bat der Sohn seinen Vater um die Erlaubnis, eine Reise nach einem weit entfernten Heiligtum zu unternehmen. Als er nun unterwegs war, traf er einen Derwisch, und die beiden wurden Reisegefährten. Eines Tages ließen sie sich zum Mittagessen nieder, und der Jüngling lud den Derwisch ein, sein Essen mit ihm zu teilen.
Der Derwisch lehnte es ab, aber der Jüngling bestand nochmals darauf, so daß der Derwisch schließlich notgedrungen mitaß. Als der Derwisch nach einigen Tagen seinen Weg allein fortsetzen wollte, fragte ihn der Jüngling: “Wie heißt du? Woher kommst du und wohin gehst du?” Der Derwisch erwiderte: “Mein Name ist schrecklich. Wenn ich ihn dir sage, wirst du Angst bekommen.” – “Nein", entgegnete der Jüngling, “warum sollte ich mich fürchten. Ich werde keine Angst haben, denn ich habe das Salz mit dir geteilt und ich weiß, daß mir von dir kein Unheil zustoßen wird.” Da sprach der Derwisch: “Mein Bruder! Ich hin Azra’il, der Todesengel.” – “Wenn du wirklich Azra’il bist,” meinte da der Jüngling, “sage mir, wann ich denn sterben werde.” – “Dein Tod«, sprach der Derwisch, “wird in deiner Hochzeitsnacht sein.” – “Gut”, meinte der Jüngling, und beide verabschiedeten sich voneinander. Vorher aber bat der Jüngling den Derwisch noch: “Mein Bruder! Bei dem Salz, welches wir zusammen gegessen haben! Wenn du kommst, um meine Seele zu holen, dann zeige dich mir in deiner jetzigen Gestalt.” Dem stimmte der Derwisch zu.
Der Jüngling setzte seine Reise fort. Als er wieder nach Hause kam, wollten seine Eltern ihn verheiraten. Er aber wehrte ab mit den Worten: “Ich will keine Frau.” So ging es eine Weile, bis der Sohn dreißig Jahre alt wurde. Da sprach sein Vater zu ihm: “Mein Söhnchen! Mittlerweile ist mein Bart weiß geworden. ich würde dich gerne als Bräutigam sehen!”
Der Sohn aber erwiderte: “Mein Vater! Wünsche dir nicht, mich als Bräutigam zu sehen; denn wenn ich heiraten sollte, werde ich in der Hochzeitsnacht sterben.” Hierauf erzählte er ihm sein Erlebnis mit Azra’il. Der Vater aber warf ein: “Was sind das für Worte! Was erzählst du mir denn da! Erstens einmal kann man Azra’il nicht sehen; und zweitens, wenn er vom Himmel herabsteigen sollte, um deine Seele zu holen, dann werde ich meine Seele statt dessen anbieten.” Und ebenfalls boten seine Mutter und seine Schwester an, ihre Seelen statt seiner zu geben.
Auf jeden Fall wurde die Hochzeit vorbereitet und die Hochzeitsnacht fand statt. Aber gerade, als Braut und Bräutigam die Hände ineinanderlegten, öffnete sich die Tür, der Derwisch trat ein und sprach: “Habe ich dir nicht gesagt, Jüngling, du sollest nicht heiraten, denn deine Hochzeitsnacht werde die letzte Nacht deines Lebens sein?” – “Gewähre mir eine kurze Frist”, erwiderte der Jüngling, “damit ich meine Eltern rufen kann.” Er rief sie beide, und als sie gekommen waren, erinnerte er sie an ihr Versprechen: “Ihr habt doch versprochen, daß ihr zu dem Zeitpunkt, wenn Azra’il komme, bereit seid, eure Seele anstelle meiner zu geben. Hier nun ist Azra’il gekommen. Gebt ihm eure Seele!” Da bot der Vater sich an: “Komm, Azra’il, und nimm meine Seele!” Sogleich machte Azra’il sich daran, die Seele des Vaters aus seinem Körper zu ziehen. Er hatte sie schon bis zur Brust herausgezogen, da rief der Vater: “Azra’il! Es ist doch zu schwer, die Seele herzugeben. Nimm lieber seine eigene Seele!” Gerade als Azra’il den Sohn zum Schlafen legte, rief nun die Mutter:
„Der Bräutigam ist doch noch so jung, nimm statt seiner lieber meine Seele!” Also machte sich Azra’il daran, die Seele der Mutter herauszuziehen. Aber als er sie schon bis zur Kehle herausgezogen hatte, rief die Mutter auch: „Es ist so schwer! Ich will lieber auf der Welt bleiben. Nimm doch seine eigene Seele!” Da lief aber sogleich die Braut herbei und sprach: „Wenn heute der Bräutigam stirbt, wird man morgen zu mir sagen, mein Schritt bringe Unheil. Also nimm gleich heute meine Seele, damit ich Ruhe finde vor den Anschuldigungen der Leute.”
So machte sich Azra’il nun daran, die Seele des Mädchens herauszuziehen. Aber gerade, als er sie schon bis zur Nase herausgezogen hatte, ertönte eine Stimme vom Himmel, die rief: „Laß sie beide in Frieden! Wegen der Opferbereitschaft der Braut schenke ich ihnen beiden dreißig Jahre Leben zusammen!”
So beendete Gott alles mit Wohlgefallen.
Persisches Märchen
(Nacherzählt von Maschdi Galin Chanom)
VIII. KREUZWEGE ODER DIE SUCHE NACH DEM GÜLTIGEN WORT
IN WEITE Ferne gehen Hügel: Menschenköpfe,
Mich wird man nicht mehr sehn, ich werd verschwindend klein-
Und doch, in Kinderspielen, Büchern, zärtlichen Geschöpfen
Werd ich einst auferstehend sagen, daß die Sonne scheint.
Ossip Mandelstam
Wahrheit
(ca. 550 v. Chr.)
Nicht ob ich tot einst lieg auf ein königlich Lager gebettet,
Kümmert mich, sondern gewährt sei nur im Leben die Lust.
Sanfter auf Teppichen nicht als auf Stechkraut ruht der Gestorbne;
Wenig verschlägt es, ob hart oder ob weicher das Holz.
Theognis von Megara
(übertragen von Eduard Mörike)
Der Tod wird kommen
(1951)
Der Tod wird kommen und deine Augen haben,
dieser Tod, der uns begleitet
von morgens bis abends, schlaflos,
dumpf, wie ein alter Gewissensbiß
oder ein törichtes Laster. Und deine Augen
werden ein leeres Wort sein,
ein verschwiegener Schrei, ein Schweigen.
So siehst du sie jeden Morgen,
wenn du dich über dich neigst, mit dir allein
im Spiegel. O teuere Hoffnung,
an jenem Tage werden auch wir es wissen,
daß du das Leben bist und das Nichts.
Für alle hat der Tod einen Blick.
Der Tod wird kommen und deine Augen haben.
Das wird sein wie das Ablegen eines Lasters,
wie wenn man ein totes Gesicht
wieder auftauchen sieht im Spiegel,
oder auf eine verschlossene Lippe horcht.
Wir werden stumm in den Strudel steigen.
Cesare Pavese
Hand an sich legen
(1976)
Der Freitod ist ja viel mehr als der pure Akt der Selbstabschaffung. Es ist ein langer Prozeß des sich Hinneigens, der Annäherung an die Erde, ein Aufsummieren vieler Ziffern von Demütigungen, welche von der Dignität und Humanität des Suizidärs nicht angenommen werden, er ist – und ich verwende einmal mehr ein leider unübersetzbares französisches Wort – un cheminement, eine Art von Fortschreiten auf einem Wege, der geebnet ist, wer weiß, vom Anbeginn her. Irre ich mich nicht, dann ist die Todesneigung eine Erfahrung, die jedermann in sich machen könnte, sofern er nur entschlossen wäre, zu sterben ohn’ Unterlaß. Sie ist in jeder Art von Resignation enthalten, in jeder Faulheit, jedem Sichgehen-Lassen – denn wer sich gehen läßt, neigt sich bereits freiwillig dorthin, wo letzten Endes sein Platz ist. Dann wäre also der Freitod, entgegen all dem, was ich dreist behauptete, nicht frei? Wäre nur ein Neigen zur eingeborenen Neigung hin? Wäre nichts als die Aufsichnahme der ultimen Unfreiheit, die das Nichtsein ist, und in deren Fesseln wir uns schlagen lassen?
Nicht doch. Die Neigung, sage ich, ist da: aber der Lebenstrieb ist auch da, und wer den Freitod wählt, erkürt etwas, das dem Lebenstrieb gegenüber das Schwächere ist. Er sagt gleichsam: Dem Starken Trutz! – indem er gegen den Lebenstrieb der Todesneigung nachgibt. Und wenn ich sagte, es sei der Weg zum Freitod geebnet vom Anbeginn her, so kann und will das doch nicht heißen, daß nicht auch der Suizidant dem Seins- und Lebenswillen unterläge, von ihm bedingt werde. Einer ißt noch zu Abend, ehe er die gehorteten Tabletten nimmt. Er gibt der tumben biologischen Triebkraft, was sie fordert. Droben aber, im Hotelzimmer, wo auf seinem Tisch die Abschiedsbriefe liegen samt dem Geld für die Hotelrechnung und den aufgesammelten Barbituraten, neigt er sich hin und läßt sich nicht mehr treiben. Die Erde wird ihn haben, nur anders, als der Dichter es meinte. Der Gedanke, Staub zu sein, ist ebenso schreckhaft wie wohltuend. In diese Wohltat des Sterbens Ausdruck eines nach Freud aus dem allgemeinen Wiederholungszwang von Kindern und Neurotikern erschlossenen Verlangens, “zurückzukehren”, zu folgen, wie es wörtlich heißt, “dem belebten Organischen innewohnenden Drang zur Wiederherstellung eines früheren Zustands”? Aber welch eines denn? Das Anorganische, aus dem wir dank eines “Zufallstreffers”, wie Jacques Monod sagt, zu Organismen wurden – dieses Anorganische war kein ‘Zustand’, den wir auf uns beziehen können. Die nichtbelebte Materie kennt und erfährt keinerlei Art von Zuständlichkeit. Unsere Todesneigung, sofern wir den spekulativen Begriff anwenden dürfen, ist also kein Zurück. Noch weniger ein Voraus. Sie geht nach der Unsituierbarkeit des nichtigen Nicht.
– Womit wir wieder hart uns stoßen an den Grenzen der Sprache, die Ausdruck sind der Grenzen des Seins.
…Nach den letzten Selbstgesprächen, die vielleicht vor dem Spiegel stattfinden, wo er seinem schon abgeurteilten Ich nachjagt, ohne es einzufangen, nur um es noch zu erlegen, kommt unerbittlich der Augenblick, der frei gewählte, an dem er Hand an sich legt. Etwas noch Unheimlicheres als die Hatz nach dem Ich tritt hier in vielerlei Gestalt ihn an: die Zeit. Um neun Uhr abends soll es geschehen – (die meisten Suizide ereignen sich nach der Statistik in den Abend- und frühen Nachtstunden). Um neun Uhr, jetzt ist es sieben, zweimal sechzig Minuten zu je sechzig Sekunden also, der Sekundenzeiger trottet unermüdlich, schon ist eine Minute vergangen, zwei, drei, fünf, fünfzehn gingen dahin, man kann die Uhr zerschlagen, nicht aber das leise Ticken
der reinen Zeit abstellen. Und in der Zeit, die noch verbleibt – es kann sich um Stunden handeln, aber auch nur um Minuten, die einer sich noch gönnt – wird
die Zeit als solche verspürt. Man trägt sie in sich, es ist ja nur bedingt wahr, was Freud sagt, es kenne das Unbewußte keine Zeit, reihe Ereignisse auf ohne chronologische Ordnung, mische sie, kehre sie um. Das Zeitvergehen ist immer präsent: im Bewußtsein ohnedies, in einem metaphorischen Innenraum, der tiefer gelagert ist als alles Unbewußte, tickt sie gleichfalls. Denn wenn es wahr ist, daß das Ich Welt ist und Raum, in die es sich wirft und entwirft, so ist nicht weniger wahr, daß es auch Zeit ist: diese ist unablöslicher verklammert mit dem Subjekt als der Raum, in den es schreitet, um zugleich Ich und Welt zu werden.
Es ist der Körper, der sie verspürt. Sie war, diese Körper-Zeit, stets zugleich relativ und absolut irreversibel. Relativ: der Herzschlag wiederholte sich unermüdlich, ein Atemzug folgte auf den anderen, Schlaf und Erwachen lösten einander ab, immer wieder – da konnte man meinen, es würde in alle Ewigkeit so weitergehen. Durch Jahre hindurch ging jemand sommers an den gleichen Kurort, ein Juli glich dem anderen, ein September sah aus wie derselbe Monat im Vorjahr, das Hotelzimmer, vorsorglich gebucht zur rechten Zeit, war das nämliche. Die relativ irreversible Zeit stellte sich hin, als sei sie keine, als sei sie umkehrbar: 1966 besuchte ich den gleichen Ort an der Nordseeküste wie 1972, die Daten besagen nichts.
Und 1978, wenn ich über die gleiche Autobahn nach dem gleichen Ort fahre, wird gewesen sein wie 1966. Ich wiederhole, es weiß der Körper es besser. Er verzeichnet, ein böse verläßlicher Registrierapparat, nicht nur die Jahre, die Monate und Tage, sondern jeden Herzschlag, keiner ist identisch mit dem voraufgegangenen. Das Herz nützt mit jedem Pumpenzug sich ab, die Adern, Nieren, Augen verbrauchen sich. In Momenten jähen, unerwarteten Gewahrwerdens der Hin-Fälligkeit, wie jederman sie erlebt, weiß der Mensch, daß er ein Geschöpf der Zeit ist – da braucht er gar nichts zu kennen von der Entropie. Irgendwann einmal wird die relativ irreversible Zeit, die wir aus dem Alltag kennen – ach, morgen muß ich wieder das gleiche tun, dieselben Wege gehen, die bekannten Gesichter sehen, und noch übers Jahr wird es so sein – vom Sterbenden als absolut unumkehrbar erfahren. Zeit: Anschauungsform des tiefinneren Sinnes! Aber nun ist das Tiefinnerliche heraufgetaucht, an die Höhe meines Ich. Noch eineinhalb Stunden, eine kleine Ewigkeit. Ein Nichts. Es reden jetzt der Leib und der Geist zugleich, ihr Stimmenrauschen ist hörbar im Raume. Der Körper weiß, er wird in 90 Minuten, Zeit, in der ein Spielfilm normalerweise abrollt, nicht mehr er selber sein.
…Neuere Forschungen auf dem Gebiete der theoretischen Physik haben über das objektive Raum-Zeit-Kontinuum hinaus, sogar jenseits der Thermodynamik einen Zeitbegriff definiert, nach welchem die Zeit einmal begann – ein Ding, das keiner voll aussinnt. Und viel zu fremd, als daß man klage und sage. Wer Hand an sich legt, ist auf mörderische Weise – ‘Selbstmord’ gut, es komme das widrige Wort für einmal hier zu stehen – Herr sowohl wie Knecht der Zeit, seiner, der einzigen, von der er noch wissen will, denn jetzt befindet er sich schon im Zustand totaler Ipseität. Was schert mich Weib, was schert mich Kind; was scheren mich Physik und objektive Erkenntnis, was schert mich das Geschick einer Welt, die mit mir versinken wird.
Die Zeit drängt und preßt sich zusammen in einem Ich, das sich nicht hat. Die Welt als Zeitlichkeit stößt die Welt des Raumes aus der Grube, in der das Ich verborgen ist.
Der Hand an sich legt, hat keine Chance mehr, noch anderes zu ergreifen als gestorbene Zeit, anderswo hinzugelangen als zum Trümmerfeld der Eigengeschichtlichkeit, die desto gegenstandsloser ist, je mehr Gegenstände, Ruinen von Gegenständen sich aufhäufen. Diese bilden keinen Widerstand mehr für das Subjekt; es ist nicht mehr gedrängt, sie zu bewältigen. – Und wie viele Minuten noch?
Jean Améry
Hoffnung
Es reden und träumen die Menschen viel
Von bessern künftigen Tagen,
Nach einem glücklichen goldenen Ziel
Sieht man sie rennen und jagen;
Die Welt wird alt und wird wieder jung,
Doch der Mensch hofft immer Verbesserung.
Die Hoffnung führt ihn ins Leben ein,
Sie umflattert den fröhlichen Knaben,
Den Jüngling locket ihr Zauberschein,
Sie wird mit dem Greis nicht begraben.
Denn beschließt er im Grabe den müden Lauf,
Noch am Grabe pflanzt er – die Hoffnung auf.
Es ist kein leerer schmeichelnder Wahn,
Erzeugt im Gehirne des Toren,
Im Herzen kündigt es laut sich an.
Zu was Besserm sind wir geboren!
Und was die innere Stimme spricht,
Das täuscht die hoffende Seele nicht.
Friedrich v.Schiller
“Ewige Sehnsucht” (I)
Die ewige Sehnsucht
gilt dir in Chang’ an.
Wenn im Herbste die Grillen
auf goldenem Brunnengeländer klagen,
der erste Reif frösteln macht
nachts auf der kalten Matte,
die einsame Lampe trübe flackert,
das Verlangen ins Unerträgliche wächst,
öffne den Vorhang ich, schau auf den Mond –
ein tiefer, vergeblicher Seufzer!
Die schön ist wie eine Blume,
weiß ich am anderen Ende der Wolken.
Oben des Himmels unendliches Blau,
unten des Wassers durchsichtige Wellen.
Ausladend der Himmel, weitläufig die Erde,
wie schwer wird der Seele ihr Flug!
Die Träume selbst tragen nicht
über die Berge und Pässe!
Die ewige Sehnsucht
bricht mir das Herz.
Li Bo
SONNET LXXII
O, lest the world should task you to recite
What merit lived in me, that you should love
After my death, dear love, forget me quite,
For you in me can nothing worthy prove;
Unless you would devise some virtuous lie,
To do more for me than mine own desert,
And hang more praise upon deceased I
Than niggard truth would willingly impart:
O, lest your true love may seem false in this
That you for love speak weIl of me untrue,
My name be buried where my body is,
And live no more to shame nor me nor you.
For I am shamed by that which I bring forth,
And so should you, to love things nothing worth.
William Shakespeare
LXXII. Sonett
O, daß die Welt dir nicht mit Fragen droht,
Welch ein Verdienst du in mir lieben können,
Vergiß mich, Lieber, ganz nach meinem Tod;
Denn nichts Vollkommnes kannst du an mir nennen:
Es wäre denn, daß fromme Lügen du
Erfändest, mehr als mein Verdienst ertrüge;
Mit Kränzen schmücktest meine Totentruh,
Die karge Wahrheit gern herunterschlüge.
O, daß nicht falsch dein wahres Lieben nun,
Wenn du nun Liebe lögest, wird erfunden,
Laß bei dem Leibe meinen Namen ruhn !
Uns beiden zum Gewinn sei er verschwunden.
Denn meine Früchte, sie beschämen mich;
Und so wär Tand zu lieben, Schmach für dich.
Nachdichtung:
Lobgesang nach: Befiehl du deine Wege
(1920)
I
Befiehl du deine Wege
Dem alles Helfen frommt
Der allertreuesten Pflege
Des, der wohl morgen kommt
Wer Wolken, Luft und Winden
Genug hat zugesehen
Der wird es leicht verwinden
Wenn sie ihm untergehen.
2
Es kann dir nichts geschehen
Solang du bei dir bleibst
Im Guten und im Wehen
Dich niemals selbst entleibst
Und liegst du gleich im Dunkeln
So bleib bei dir die Nacht
Und red von Sternenfunkeln
Zu dir mit aller Macht.
3
Es kann dir nichts geschehen
Solang du nicht entfliehst
Im Guten wie im Wehen
Den gleichen Himmel siehst
Und Wolken, Luft und Winden
Hast du ja nichts getan
Es wird sich niemand finden
Der dich verstoßen kann.
Bertold Brecht
Breite und Tiefe
Es glänzen viele in der Welt,
Sie wissen von allem zu sagen,
Und wo was reizet und wo was gefällt,
Man kann es bei ihnen erfragen;
Man dächte, hört man sie reden laut,
Sie hätten wirklich erobert die Braut.
Doch gehn sie aus der Welt ganz still,
Ihr Leben war verloren;
Wer etwas Treffliches leisten will,
Hätt gern was Großes geboren,
Der sammle still und unerschlafft
Im kleinsten Punkte die höchste Kraft.
Der Stamm erhebt sich in die Luft
Mit üppig prangenden Zweigen,
Die Blätter glänzen und hauchen Duft,
Doch können sie Früchte nicht zeugen;
Der Kern allein im schmalen Raum
Verbirgt den Stolz des Waldes, den Baum.
Friedrich v. Schiller
Am Ende
Ich habe meine Zeit in heißer Angst verbracht:
Dies lebenslose Leben
Fällt, als ein Traum entweicht,
Wenn sich die Nacht begeben
Und nun der Mond erbleicht;
Doch mich hat dieser Traum nur schreckenvoll gemacht.
Was nutzt der hohe Stand? Der Tod sieht den nicht an.
Was nutzt mein Tun und Schreiben,
Das die geschwinde Zeit
Wird wie den Rauch zertreiben?
O Mensch, o Eitelkeit,
Was bist du als ein Strom, den niemand halten kann?
Jedoch was klag ich dir? Dir ist mein Leid erkannt.
Was will ich dir entdecken,
Was du viel besser weißt:
Die Schmerzen, die mich schrecken,
Die Wehmut, die mich beißt,
Und daß ich meinem Ziel mit Winseln zugerannt?
Andreas Gryphius
Wir pflügen und wir streuen
Wir pflügen und wir streuen
Den Samen auf das Land,
Doch Wachstum und Gedeihen
Steht in des Himmels Hand:
Der tut mit leisem Wehen
Sich mild und heimlich auf
Und träuft, wenn heim wir gehen,
Wuchs und Gedeihen drauf.
Alle gute Gabe
Kommt her von Gott, dem Herrn,
Drum dankt ihm, dankt
Und hofft auf ihn.
Er sendet Tau und Regen
Und Sonn- und Mondenschein
Und wickelt seinen Segen
Gar zart und künstlich ein
Und bringt ihn dann behende
In unser Feld und Brot:
Es geht durch unsre Hände,
Kommt aber her von Gott.
Alle gute Gabe
Kommt her von Gott dem Herrn,
Drum dankt ihm, dankt
Und hofft auf ihn.
Was nah ist und was ferne,
Von Gott kommt alles her,
Der Strohhalm und die Sterne,
Das Sandkorn und das Meer.
Von ihm sind Büsch und Blätter
Und Korn und Obst, von ihm
Das schöne Frühlingswetter
Und Schnee und Ungestüm.
Alle gute Gabe
Kommt her von Gott dein Herrn,
Drum dankt ihm, dankt
Und hofft auf ihn.
Er läßt die Sonn aufgehen,
Er stellt des Mondes Lauf;
Er läßt die Winde wehen
Und tut die Wolken auf.
Er schenkt uns so viel Freude,
Er macht uns frisch und rot;
Er gibt dem Viehe Weide
Und seinen Menschen Brot.
Alle gute Gabe
Kommt her von Gott dem Herrn,
Drum dankt ihm, dankt
Und hofft auf ihn.
Matthias Claudius
Anche gli alberi un tempo erano croci
Anche gli alberi un tempo erano croci
Appesi ai rami d‘ombra agonizzavano
i miei fratelli, il sole dentro gli occhi.
Perduta era dell’anima l’effigie
umana, sconosciuta ogni parola
d’amore era tra i simili, scomparso
tutto dell’uomo il seme e la misura.
Tutto passò in dilirio: la memoria,
torbido lago ove affluisce il cuore,
sarà specchio d’immagini e di nomi.
Torno a scoprire i morti ad uno ad uno,
incustodite ceneri, a ridire
il nome dei compagni come in una
segreta antologia.
EIio Filippo Accrocca
Auch die Bäume waren einmal Kreuze
Auch die Bäume waren einmal Kreuze. An den Schattenzweigen
hängend, waren meine Brüder am Sterben, die Sonne in den Augen.
Verloren war der Seele menschliches Ebenbild, unbekannt war
jedes Liebeswort zwischen den Nächsten, verschwunden ganz des
Menschen Same und Maß.
Alles ging vorüber im Wahn: das Gedächtnis, ein trüber See, wo
das Herz hinströmt, wird Spiegel von Bildern und Namen sein.
Ich kehre zurück und entdecke die Toten einen um den andern,
unbewachte Asche, und sage die Namen der Genossen auf wie eine
geheime Anthologie.
Übertragung: Franco de Faveri/Regine Wganknecht
L’épitaphe
J’ai vécu dans ces temps et depuis mille années
Je suis mort. Je vivais, non déchu mais traqué.
Toute noblesse humaine étant emprisonnée
J’étais libre parmi les esclaves masqués.
J’ai vécu dans ces temps et pourtant j’étais libre.
Je regardais le fleuve et la terre et le ciel
Tourner autour de moi, garder leur équilibre
Et les saisons fournir leurs oiseaux et leur miel.
Vous qui vivez qu’avez-vous fait de ces fortunes?
Regrettez-vous les temps où je me débattais?
Avez-vous cultivé pour des moissons communes?
Avez-vous enrichi la ville où j’habitais?
Vivants, ne craignez rien de moi, car je suis mort.
Rien ne survit de mon esprit ni de mon corps.
Robert Desnos
Epitaph
Ich bin der Tote, der durch jene Zeiten schritt.
Vor tausend Jahren. Aufrecht und gejagt.
Das Menschliche, von Mauern war‘s umragt.
Vermummte Sklaven rings – ich lebte mit.
In jenen Zeiten lebt ich – lebt ich frei.
Mein Auge sah die Erde, es sah zum Himmel auf,
ich sah, wie alles kreiste, ich sah den Wasserlauf.
Die Blüte gab den Honig, der Vogel zog vorbei.
Mit alledem, ihr Menschen, was fingt ihr damit an?
Die Zeit, in der ich’s schwer hatt’, tragt ihr sie noch im Sinn?
Sät ihr die Saat gemeinsam und erntet jedermann?
Ist sie durch euch jetzt schöner, die Stadt, aus der ich bin?
Ihr Lebenden, ich leb nicht, ihr braucht nicht bang zu sein.
Mein Leib, er lebt nicht weiter, mein Geist nicht, nichts, was mein.
Übertragung: Paul Celan
Ein Traum ist unser Leben
Ein Traum, ein Traum ist unser Leben
Auf Erden hier.
Wie Schatten auf den Wolken schweben
Und schwinden wir.
Und messen unsre trägen Tritte
Nach Raum und Zeit;
Und sind (und wissen’s nicht) in Mitte
Der Ewigkeit…
Johann Gottfried Herder
Kallondji erweckt Tote
Kallondji (=Ndji der Lügner) und Tonjandji (=Ndji der Wahrhaftige, der immer die Wahrheit sagt) gingen zusammen auf Reisen. Tonjandji sagte: „Wer von uns beiden ist Silatigi?” (=Reiseleiter). Kallondji sagte: „Ich will Silatigi sein!” Tonjandji sagte: „Nein, ich will Silatigi sein.” Kallondji sagte: „Nein, ich will Silatigi sein!” Tonjandji sagte: „Du kannst drei Tage vor mir abmarschieren, und ich werde dich in einer Stunde einholen. Deshalb ist es besser, wenn ich Silatigi bin.” Da sagte Kallondji: „So sei du Silatigi; wir wollen es versuchen.”
Die beiden wanderten ab. Sie kamen am Abend des ersten Tages an ein Dorf, dessen Häuptling begrüßte sie und fragte: „Wo kommt ihr her?” Tonjandji sagte: „Wir kommen aus Tonjadugu” (aus dem Lande der Wahrhaftigen). Darauf sagte der Dorfchef nichts, aber die zwei Wanderer erhielten nichts zu essen. Sie kamen am anderen Tag in ein Dorf. Es war die gleiche Sache. Sie bekamen wieder nichts zu essen. So ging es während drei Tagen, und als sie dann gar zu großen Hunger hatten, sagte Kallondji: „So geht es nicht weiter.”
Tonjandji sagte: „Nein, so geht es nicht weiter, jetzt kannst du einmal Silatigi sein.” Kallondji sagte: „Gut!”
Sie kamen wieder in ein Dorf. In diesem Dorf war gerade der Sohn des Häuptlings gestorben. Es war ein wunderschöner Bursche, und keiner kam ihm im ganzen Lande gleich. Als die beiden in das Dorf kamen, klagten alle Weiber, heulten alle Alten. Kallondji kümmerte sich nicht darum, sondern sagte (brüsk): „Guten Tag, ich will trinken, gebt mir Wasser!”
Tonjandji sagte: „Gib acht, daß du die Leute nicht reizt; sieh, alle klagen!” Kallondji sagte: „Ach was! Was gibt es denn?” Die Leute sagten: „Der Sohn unseres Häuptlings ist gestorben, und das war der schönste Bursche im ganzen Land!”
Kallondji sagte: „Was? Das ist alles? Könnt ihr ihn denn nicht wiedererwecken?”
Die Leute sagten: „Nein, kannst du es denn?” Kallondji sagte: „Nichts einfacher als das. Wenn ihr es wollt, kann ich das ja morgen früh tun. Zunächst gebt mir aber einmal Wasser zum Trinken, denn ich habe Durst.” Die Leute sagten: „Wer so etwas kann, darf nicht Wasser trinken, dem soll man Milch bringen.” Man brachte eine große Schale mit Milch. Alle Leute bemühten sich um Kallondji und Tonjandji. Der Dorfhäuptling kam auch herbei und sagte: „Du kannst meinen Sohn erwecken?” Kallondji sagte: „Nichts ist einfacher. Wenn du es zahlst, will ich es morgen früh ausführen.” Der Dorfchef sagte: „Ich will dir zwei männliche und zwei weibliche Sklaven, zwei Kühe und zwei Pferde geben.”
Kallondji sagte: „Gut, also morgen früh!”
Darauf kam nun jeder, der einen teuren Verstorbenen hatte, und setzte sich zu Kallondji. Der eine sagte: „Wenn du mir meinen im vorigen Jahre verstorbenen Vater erwecken willst, werde ich dir eine Kuh schenken.” Ein zweiter sagte: „Wenn du mir meine vor zwei Jahren verstorbene Frau erwecken willst, sollst du von mir einen Sklaven erhalten.” Kallondji sagte: „Gut, ich werde euch alle eure Toten morgen früh erwecken und ihr bezahlt mir das dann.” Die Leute brachten Kallondji und Tonjandji sehr viel gute Speise. Abends sagte Tonjandji: „Wollen wir nun nachts fliehen?” Kallondji sagte: „Warum denn? Morgen werde ich gut verdienen und wir werden ausgezeichnet essen.”
In der Nacht machte sich Kallondji eine kleine Kalebasse zurecht zu einem Baranikurrukurru. (Dies Instrument wird auch Talimbrani genannt und besteht aus einer Blasekugel, über deren Löcher Membranen von Spinngeweben gezogen sind.) Am anderen Morgen fragte Kallondji: „Habt ihr schon das Grab gegraben?” Die Leute sagten: „Ja, das ist geschehen.” Kallondji sagte: „So bringt den Toten dahin und laßt dort alles Volk zusammenkommen.”
Er ging selbst hin, stieg in die Grube und höhlte mit den Händen noch sorgfältig den Seitengraben aus. Dann sagte er: „Legt den Toten hinein und deckt ihn mit einem Tuch zu.” Die Leute taten es. Kallondji kroch unter das Loch. Kallondji wandte nun erst den Kopf nach oben und rief laut durch das Tuch in der Richtung auf das versammelte Volk: „Nakunu”
(d. h. “ich erwecken”, soll heißen: „ich will dich wiedererwecken”). Dann beugte er sich vor und herab und sprach gegen den Boden in die Blasekugel: „Nilakunu inam bè kunu” (d.h. „Wenn erwecken, mach alle erwecken”, soll heißen: „Wenn du einen erweckst, dann erwecke uns andere Toten auch”). Das wiederholte er dreimal. Dann fuhr er plötzlich auf: „Ach, das ist dumm!” Der Dorfhäuptling fragte: „Was ist dumm?” Kallondji sagte: „Es ist nichts Besonderes. Es ist da nur dein älterer Bruder, der vor dir das Dorf regiert hat, der will durchaus als erster und vor deinem Sohn erweckt werden. Wir werden ihm als dem ältesten Mitglied deiner Familie willfahren müssen. Warte also einen Augenblick, er ist sogleich am Leben.” Der König sagte: „Nein, das will ich nicht. Das will ich auf keinen Fall, das will ich nicht.” Er sagte das, weil sein verstorbener älterer Bruder ein sehr beliebter Dorfchef gewesen war. Kallondji sagte: „Das geht aber nicht anders. Entweder alle oder keinen, denn man kann nicht so unhöflich sein, einem so angesehenen Mann wie deinem älteren Bruder den Vortritt vor einem so jungen Bengel wie deinem gestern verstorbenen Sohn zu verweigern.”
Der Häuptling sagte: „So will ich, daß keiner erweckt wird.” Kollondji sagte: „Und wer bezahlt mich dann?” Der Häuptling sagte: „Ich habe die Sache angeregt und werde dir deswegen zahlen, was ich versprochen habe.” Kallondji sagte: „Gut denn!” Er stieg aus der Grube. Er erhielt die Bezahlung vom Häuptling und kehrte als wohlhabender Mann heim.
Afrikanischen Märchen
(Mande)
Autorenverzeichnis
Accrocca, Elio Filippo Anche i alberi un tempo erano croci/
Auch die Bäume waren einmal Kreuze
Afrikanisches Märchen, Kallondji erweckt Tote;
Afrikanisches Märchen, Laeja und Lingeo;
Améry, Jean Hand an sich legen;
Anachreon von Teos, Eine Richtung;
Anday, Melih Cevdet Brief von einem toten Freund;
Andersen, H. Christian Der alte Grabstein;
Auden, W.H. Klage;
Aus dem Shi-King, Gebet an die Ahnen;
Aus dem Shintoismus, Gebet an die Ahnen;
Ausländer, Rose Der Brunnen;
Bachmann, Ingeborg Lieder von einer Insel;
Bakchylides v. Keos, Pleuro;
Baudelaire, Charles La mort des artistes/Der Tod der Künstler;
Beauvoir, Simone de Ein sanfter Tod;
Bernhard, Thomas Anruf;
Beyatli, Yaha Kemal Der Tod der Weisen;
Boethius v. Rom, L. S. Grabinschrift auf seine erste Frau, Helpes;
Brecht, Bertold Ballade in der Stunde der Entmutigung
Ich beginne zu sprechen vom Tod
Inschrift auf einem nicht abgeholten Grabstein
Lobgesang: Befiehl du deine Wege
Britting, Georg Hektor und Achill (I);
Camus, Albert Die Pest;
Canetti, Elias Wohin
Alles
Celan, Paul Dein
Psalm
Stehen im Schatten
Todesfuge
Cesare Pavese, Carl Der Tod wird kommen;
Claudius, Matthias Der Mensch
Wir pflügen und wir streuen
Cocteau, Jean Vom Tod;
Daglarca, Fazil Hünsü Ode an die Wiedererstandenen;
Desnos, Robert L’épitaphe/Epitaph;
Döblin, Alfred Manas;
Du Fu, Abschied vom Grab des Fang Guan;
Eichendorff, Joseph von Im Alter;
Euripides Monolog der Hekuba
Fontane, Theodor Ausgang
Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland
Goethe, J. Wolfgang v. Hermann und Dorothea
Kaleidoskop
Kleiner Ring
Wandrers Nachtlied
Wege
Gryphius, Andreas An sich selbst
Menschliches Elende
Herder, J. Gottfried Ein Traum ist unser Leben;
Hesse, Hermann Klage
Nachruf
Traurigkeit;;
Heym, Georg Letzte Wache;
Hölderlin, Friedrich Hälfte des Lebens
Hyperion
Inschrift auf einem nicht abgeholten Grabstein
Lebenslauf
Stammbuchblatt für einen Unbekannten;
Ionesco, Eugéne Tagebuch;
Kaleidoskop
Kanik, Rhan Veli Grabinschrift;
Kästner, Erich Ein alter Mann geht vorüber;
Koran, 27. Sure;
Kunze, Reiner Zuflucht noch hinter der Zuflucht;
Lasker-Schüler, Else An sich selbst
Ich beginne zu sprechen vom Tod
Ich weiß
Klein Sterbelied
Mein Sterbelied;
Leonardo Sinisgalli, Epigrafe/Inschrift;
Lessing, G. Ephraim Das Gleichnis von den drei Ringen;
Li Bo, „Ewige Sehnsucht“ (I);
Luther, Martin Ein jeder selbst;
Mandelstam, Ossip Gruß
In Weite
Wie kann ich;
Mann, Thomas Joseph in Ägypten;
Meyer, C. Ferdinand Schillers Bestattung;
Musset, Alfred de Sur une morte/Auf eine Todte
Tristesse/Trauer;
Necatigil, Cet In den Büchern sterben;
Novalis, Trost;
Paulus, Erster Brief an die Korinther;
Persisches Märchen, Der Engel des Todes;
Plato, Phaidon;
Rilke, Rainer Maria Herbst;
Ringelnatz, Joachim Versöhnung
Was dann?
Ronsard, Pierre de De l’élection de son sepulchre/Wie ich mir
mein Grab wünsche
Sappho von Mytilene, Lied
Schiller, Friedrich v. Breite und Tiefe
Hoffnung
Nänie;
Semonides von Amorgos, Mein Rat;
Shakespeare, William Sonnet LXVI/LXVI.Sonett
Sonnet LXXII/LXXII. Sonett
Sonnet LXXXI/LXXXI. Sonett
Sonnet XI/XI. Sonett
Sonnet XXX/XXX. Sonett;
Simonides von Keos, Vergeblich;
Storm, Theodor Schließe mir die Augen;
Taranci, Hit Sitki Nach dem Tod;
Theognis v. Megara, Wahrheit;
Tibetanisches Totenbuch, Des Todes Boten;
Tucholsky, Kurt Mutterns Hände;
Unbekannt, Lateinische Grabinschrift;
Verlaine, Paul Chanson d’automne/Herbstlied;
Villon, François L’epitaphe Villon/Ballade von den Gehenkten;
Wang Wei, Gegangen;
XXXX, Am vierten Sonntag nach Ostern;
Yuan Zhen, Elegie (II);
Zuckmayer, Carl Totenlied für Klabund;
Literaturhinweise:
Philippe Ariès, Studien zur Geschichte des Todes im Abendland;
München 1976;(Kulturhistorisches Standardwerk)
Elisabeth Bronfen (Hrsg.), Die schöne Leiche – Weibliche Todesbilder in der
Moderne; München, 1992;
(Anthologie mit Texten von den Gebr. Grimm bis
Arthur Schnitzler)
Norbert Elias, Über die Einsamkeit der Sterbenden; Frankfurt/M,
1984;(Philosophisch literarischer Essay)
Paul Ludwig Landsberg, Die Erfahrung des Todes; Frankfurt/M, 1973;
(Philosophischer Essay über christliche Todeser-fahrungen. Landsberg emigrierte 1933, von der
Gestapo in Frankreich verhaftet, wurde Landsberg im KZ Oranienburg ermordet.)
Peter Noll, Diktate über Sterben und Tod; Zürich, 1983;
(Ein Tagebuch über das Sterben)
Gerhard Schmied, Sterben und Trauern in der modernen
Gesellschaft; Leverkusen, 1985;
(Eine gut lesbare soziologische Studie)
Federike Waller (Hrsg.), Alles ist nur Übergang, Lyrik und Prosa über
Sterben und Tod; Tübingen, 1997; (z.Z. die einzige
Anthologie in Buchform zum Thema)
Harald Weinrich, Lethe – Kunst und Kritik des Vergessens;
München, 1997
Herausgegeben von Emmanuel Bohn