Patientenrecht
von Paul Ramer, Josef Rennhard
440 S., broschiert
2., überarbeitete Auflage, Aug. 1998
Beobachter-Buchverlag
ISBN: 3-85569-174-6
LESEPROBE
Worüber muss der Arzt den Patienten aufklären?
Gesundheitszustand/Diagnose
Der Arzt hat dem Patienten alles über seinen Gesundheitszustand zu sagen. Er hat ihn darüber zu informieren, dass er krank ist, an welcher Krankheit er leidet und wie schwer ihn diese betroffen hat. Er hat ihn auch über die Gefahren der Krankheit, über Entwicklungsmöglichkeiten und Heilungschancen zu informieren. Auch Differentialdiagnosen (andere in Frage kommende Krankheiten) hat er einzubeziehen, wenn solche ernsthaft in Frage kommen. Auf Fragen des Patienten hat der Arzt jedoch auch entferntere und weniger in Betracht fallende Möglichkeiten zu nennen.
Untersuchung und Behandlung
Der Arzt soll den Patienten über die vorgesehene Untersuchung, die Art und den Verlauf der Behandlung (sogenannte Verlaufsaufklärung) und die Prognose über voraussichtliche Folgen der Behandlung bzw. Folgen der Nichtbehandlung aufklären.
Bei einem Eingriff ist dem Patienten in anschaulicher und für ihn verständlicher Weise in kurzen Zügen zu erklären, was im einzelnen geschieht. Diese Informationen sind dem Patienten rechtzeitig und vor dem Entscheid über eine Behandlung oder den Eingriff zu vermitteln. Erst eine umfassende Aufklärung ermöglicht es dem Patienten, dem Behandlungsplan zuzustimmen. Eine Aufklärung erst im Spitalbett am Abend vor der Operation oder gar erst auf dem Operationstisch — Notfälle vorbehalten — genügt diesen Ansprüchen nicht.
Behandlungsalternativen
Oft stehen verschiedene wissenschaftlich anerkannte Methoden zur Verfügung. Es können auch verschiedene Behandlungsarten in Frage kommen: Konservative Behandlung, medikamentöse Therapie, Operation, Bestrahlung etc. Die verschiedenen Methoden können ihre Vor- und Nachteile haben. Ein operativer Eingriff kann mehr oder weniger angezeigt sein. Über all dies hat der Arzt den Patienten aufzuklären. Nur so kann dieser auch sein Selbstbestimmungsrecht richtig wahrnehmen.
Bei der Aufklärung geht es nicht darum, eine wissenschaftliche Vorlesung zu halten. Unterschiede in der chirurgischen Technik bei verschiedenen Operationsmethoden, die in ihrem Ergebnis den Patienten nicht unmittelbar betreffen, sind daher nicht zu erörtern.
Die Aufklärung über alternative Behandlungsmöglichkeiten garantiert dem Patienten eine echte Wahl. Sie ist sowohl im deutschen wie auch im österreichischen Recht anerkannt7 und muss auch für das schweizerische Recht gelten8. Aufgrund der Aufklärung über die Behandlungsalternativen muss der Patient auch darüber entscheiden können, ob er allenfalls bei einem anderen Arzt eine Zweitmeinung (second opinion) einholen will.
Risiken des Eingriffs
Bei jeder grösseren Operation besteht das Risiko von Komplikationen wie Blutungen, Infektionen, Thrombose, Embolie etc. Solche allgemeinen Risiken darf der Arzt nach Ansicht des Bundesgerichts als bekannt voraussetzen9. Bestehen aber Zweifel, ob der Patient solche Kenntnisse hat, muss der Arzt ihn aufklären10. Zusätzlich weiss man aus Erfahrung und oft auch aus Statistiken von speziellen Risiken, die bei einer oder mehreren Arten von Eingriffen bestehen und dem Patienten meist unbekannt sind. Man spricht auch von einem «spezifischen», «besonderen», «typischen» Risiko.
Es gehört zur Pflicht des Arztes, über solche Risiken aufzuklären. Der Patient muss alle Umstände seiner Behandlung erfassen und die mit ihnen verbundenen Risiken kennen, um darüber entscheiden zu können, ob er einem vom Arzt vorgeschlagenen Eingriff zustimmen will. Wird eine notwendige Risikoaufklärung unterlassen, so fehlt es an einer gültigen Zustimmung. Damit ist der Eingriff rechtswidrig und stellt tatbestandsmässig auch eine Körperverletzung im Sinn von Art. 123 StGB dar. Dies kann dazu führen, dass der Arzt schadenersatzpflichtig wird (siehe Kapitel 11, Seite 197).
Weitere Themen in diesem Kapitel
Muss der Patient über jedes – also über ein ganz geringes – Risiko aufgeklärt werden?
Therapiegerechtes Verhalten des Patienten
Wirtschaftliche Fragen
Behandlungsfehler: Müssen Ärzte über eigene Behandlungsfehler aufklären?
Muss ein Arzt den Patienten über den Behandlungsfehler eines anderen Arztes aufklären?
Wirkung von Medikamenten
Wie hat die Aufklärung zu erfolgen?
Darf der Arzt die richtige Diagnose und die Risiken eines Eingriffs verschweigen, um den Patienten zu schonen?