29.10.09 – Jean-François Bergier gestorben

Der Schweizer Sozial- und Wirtschaftshistoriker Jean-François Bergier machte sich einen Namen als Präsident der Expertenkommission Schweiz-Zweiter Weltkrieg.

Jean-François Bergier starb am Donnerstagmorgen im Alter von 78 Jahren. Ein Familienmitglied bestätigte eine Meldung des Westschweizer Radios. Er galt als Spezialist für die Wirtschaftsgeschichte der Schweiz und des Alpenraums. Bekannt wurde er aber vor allem wegen der nach ihm benannten Expertenkommission.

Vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen um die Schweiz und die nachrichtenlosen Vermögen von Holocaust-Opfern war Bergier Ende 1996 vom Bundesrat an die Spitze der Unabhängigen Expertenkommission Schweiz-Zweiter Weltkrieg berufen worden. Dieses Gremium untersuchte während fünf Jahren die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen der Schweiz zum Dritten Reich.

Vorwürfe an die Schweiz

Die Arbeiten, für die ursprünglich 5 Millionen Franken bewilligt worden waren, kosteten schliesslich 22 Millionen. «Das entspricht den Kosten für den Bau von 300 Metern Autobahn», konterte Bergier jeweils die Kritik an der Kostenüberschreitung.

Seine Kommission verfasste bis 2002 insgesamt 25 Studien und Forschungsbeiträge mit total 11'000 Seiten sowie einen 600-seitigen Schlussbericht. Darin wurden der Schweiz eine hartherzige, von Antisemitismus bestimmte Politik gegenüber jüdischen Flüchtlingen vorgeworfen. Ausserdem wurde die enge Zusammenarbeit der Schweizer Wirtschaft mit Nazideutschland aufgezeigt. In anderen Bereichen, etwa der Rechtspflege, attestierte die Kommission ein einwandfreies Verhalten gegenüber den Nazis.

Diese Forschungsarbeiten lösten ein kontroverses Echo aus. Die Kommission – und indirekt auch Bergier selbst – erhielten sowohl Lob, vor allem aus dem Ausland und von der Wissenschaft, aber auch harsche Kritik, vorab von der politischen Rechten und Vertretern der Weltkriegs-Generation. Diese sprach von einäugiger linker Geschichtschreibung.

Viel Medienecho, wenig politische Reaktionen

Bergier wies diese Kritik stets zurück. Er verstand sich als konservativ geprägter Patriot, der die Schweiz auch mit dem Blick des Auslandes zu sehen gelernt habe, wie er in Interviews betonte. Er sei stets der Wahrheit verpflichtet gewesen.

Die Arbeiten seiner Kommission hätten zwar ein breites Echo in der Öffentlichkeit ausgelöst. Die Politik habe aber kaum reagiert, bedauerte Bergier. Er hätte von Bundesrat und Parlament eine tiefere Auseinandersetzung erwartet.

Nach Einschätzung des Schweizer Historikers Thomas Maissen haben Bergier und seine Kommission bei ihrer Forschung zwar wenig grundlegend Neues entdeckt. Sie hätten aber einer neuen, selbstkritischen Sichtweise der Schweizer Geschichte zu breiter Anerkennung verholfen, wie Maissen vor drei Jahren gegenüber der Nachrichtenagentur SDA erklärt hatte.

Wirtschaftsgeschichte und Alpen

Nach Studien in Lausanne, Oxford und Paris hatte er 1963 in Genf doktoriert, wo er anschliessend bis 1969 als ordentlicher Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte wirkte. Von 1969 bis 1999 übte er diese Funktion am Institut für Geschichte der ETH Zürich aus.

Bergier spezialisierte sich auf dem Gebiet der Wirtschaftsgeschichte der Schweiz und der Alpen. Zu seinen bekanntesten Büchern zählen «Die Schweiz in Europa», «Wilhelm Tell – Ein Europäer?», «Wirtschaftsgeschichte der Schweiz» und «Die Geschichte vom Salz».