Als gefährlich erkannt, aber unterschätzt
Lange vor dem Massaker von Virginia wurde der Attentäter psychiatrisch untersucht – und als gefährlich erkannt. Doch in eine Anstalt wurde er nicht eingewiesen.
Mit einem Blutbad hat niemand gerechnet, doch Hinweise auf die psychischen Probleme des Attentäters von Blacksburg gab es schon lange. Mehr als ein Jahr vor dem Massaker sorgten die gewalttätigen Texte und bizarren Fantasien von Cho Seung Hui bei Professoren und Mitstudenten für Unruhe.
Der 23-Jährige erhielt Verweise, zwei Frauen beschwerten sich beim Sicherheitsdienst über Belästigungen. Als ein Bekannter befürchtete, der Student könnte sich das Leben nehmen, wurde Cho psychiatrisch untersucht – und als vermutlich gefährlich eingeschätzt.
Statt den jungen Mann in eine psychiatrische Anstalt einzuweisen, bewilligte ein Gericht im Dezember 2005 jedoch nur eine ambulante Behandlung. Bei einer zweiten Untersuchung in einer Privatklinik wies Cho zurück, suizidgefährdet zu sein. „Sein Verständnis und seine Urteilskraft sind normal“, heißt es in den
Untersuchungsakten. Der Student sei zwar eine unmittelbare Gefahr für sich selbst, aber nicht für andere, entschied der Richter. Am Montag erschoss Cho auf dem Campus der Universität Virginia Tech 32 Menschen und anschließend sich selbst.
Ein Paket mit Fotos und Videos an einen Fernsehsender
Per Post erhielt der Fernsehsender NBC ein verdächtiges Paket. Absender: Cho Seung Hui. Darin fand sich ein Multimedia-Manifest des Attentäters. Die Videos, Bilder und Schriftstücke wurden kurz nach 9.00 Uhr abgeschickt, nachdem Cho Seung Hui bereits zwei Menschen getötet hatte.
NBC sendete am Mittwochabend Ausschnitte aus Cho Seung-Huis mit einer Videokamera gefilmten Erklärung, die auf einer CD abgespeichert war. Darin teilt er mit, dass er mit genusssüchtigen Reichen eine Rechnung begleichen werde.
"Ihr hattet eine hundert Milliarde Chancen, das hier zu vermeiden“, sagte Cho in einem von NBC am Mittwochabend gezeigten Ausschnitt seines Manifests. "Aber ihr habt entschieden, mein Blut zu vergießen. Ihr habt mich in die Ecke getrieben und nur eine Option gelassen. Das war eure Entscheidung. Jetzt habt ihr Blut an euren Händen, das sich nie mehr abwaschen lässt.“
Cho erwähnte auch "Märtyrer wie Eric und Dylan“ – die Amokläufer des Massakers an der Columbine-Highschool vor fast genau acht Jahren, die 13 Menschen und sich selbst töteten.
NBC zufolge ist Chos Stellungnahme 1800 Wörter lang und enthält 43 Fotos. Auf elf Bildern hält er Handfeuerwaffen in die Kamera. Etliche Passagen seiner Rede seien zusammenhanglos und vulgär. "All eure Ausschweifungen waren nicht genug. Sie reichten nicht, eure hedonistischen Bedürfnisse zu befriedigen. Ihr hattet alles.“
"Dank euch sterbe ich wie Jesus Christus"
Sich selbst stellt er als einen Jungen dar, dessen Herz mutwillig zerstört, dessen Seele vergewaltigt und dessen Bewusstsein ausgelöscht worden sei. "Dank euch sterbe ich wie Jesus Christus, um Generationen schwacher und schutzloser Menschen zu inspirieren.“
Ein Zeitstempel auf dem Paket zeige, dass Cho es am Montag um 09.01 Uhr Ortszeit in einem Postamt aufgegeben habe. Das war eine Stunde und 45 Minuten nach seinen ersten tödlichen Schüssen in einem Wohnheim der Virginia Tech. Das würde erklären, wo der Amokläufer war, bevor er auf den Campus zurückkehrte und in einem Lehrgebäude 30 weitere Menschen und sich selbst tötete.
Das Paket sei per Eilkurier aufgegeben worden und am Dienstag bei NBC eingegangen, aber dort erst am Mittwoch geöffnet worden, teilte der Sender mit. Vor der Sendung des Materials sei das Paket von der Bundespolizei FBI geprüft worden. Chos Manifest fügte weitere Elemente einer stetig wachsenden Liste hinzu, nach der es schon seit mindestens einem Jahr Hinweise dafür gab, dass der Einzelgänger schwere psychische Probleme und Gewaltphantasien hatte.
Alarme und Evakuierungen an mehreren Universitäten
Nach dem folgenschwersten Amoklauf in der US-Geschichte gingen bis Mittwoch bei zahlreichen Bildungseinrichtungen Drohungen ein. In mindestens zehn Staaten wurden Universitäten, Ober- und Mittelschulen nach Drohungen evakuiert oder geschlossen.
An der Universität von Minnesota wurden acht Gebäude geräumt. Der Polizeichef der Universität, Greg Hestness, sagte, es sei klar, dass es eine Reihe Fehlalarme nach Blacksburg geben werde. "Wir können es uns aber nicht leisten, es nicht zu glauben und uns dabei zu irren“, sagte er.
Ein 16-jähriger Oberschüler erschoss sich im US-Bundesstaat North Carolina, nachdem er zuvor zwei Mitschüler mit seiner Handfeuerwaffe bedroht hatte. Das teilte die Polizei in Huntersville mit. Die Schulen in der Stadt seien nach dem Vorfall geschlossen worden.