5.9.05 – Oberster Richter der USA gestorben

Oberster Richter der USA gestorben
Politischer Kampf um Rehnquists Nachfolge erwartet

William Rehnquist, der Vorsitzende des Supreme Court der Vereinigten Staaten, ist am Samstagabend im Alter von 80 Jahren gestorben. Er gilt als einer der einflussreichsten Juristen der amerikanischen Geschichte. Er gehörte dem Gericht 33 Jahre an. 
 
William Rehnquist, der am Samstagabend im Alter von 80 Jahren verstorben ist, hat dem Supreme Court der Vereinigten Staaten 33 Jahre angehört, davon 19 Jahre als Vorsitzender. Er gilt als einer der einflussreichsten Juristen in der amerikanischen Geschichte und hat den Kurs des Rechtswesens entscheidend beeinflusst. Präsident George Bush, der am Samstag um 23 Uhr von dem Ableben informiert worden war, sagte am Sonntagmorgen, Rehnquist sei ein Mann von hohem Intellekt, starkem Charakter und grossem Pflichtbewusstsein gewesen.

Vorsitzender vom Präsidenten ernannt
Der Vorsitzende des Supreme Court hatte im Oktober vergangenen Jahres mitgeteilt, er leide an Schilddrüsenkrebs, aber alle Gerüchte, er werde deswegen zurücktreten, nachdrücklich zurückgewiesen. Noch vor wenigen Wochen hatte er beinahe trotzig gesagt, er werde im Amte bleiben, solange seine Gesundheit es erlaube.

Der Präsident, zu dessen Aufgaben es gehört, einen Nachfolger zu benennen, der vom Senat bestätigt werden muss, hat angekündigt, dass er in angemessener Frist einen qualifizierten Kandidaten vorschlagen werde. Obwohl in Washington eine Reihe von Namen gehandelt werden, hat das Weisse Haus sich bisher dazu nicht geäussert. Der Nachfolger von Rehnquist wird allerdings nicht automatisch auch Vorsitzender, sondern nur ein ordentliches Mitglied des Supreme Court. Der Präsident hat die Möglichkeit, einen der anderen Richter des Gerichtes auf den Chefposten zu erheben; das ist bisher jedoch nur dreimal vorgekommen.

Zweite Vakanz in zwei Monaten
Der Tod Rehnquists erfolgte, wenige Tage bevor der Senat am Dienstag die Bestätigungsanhörung für John Roberts beginnt, den Bush als Nachfolger der Richterin Sandra Day O’Connor benannt hat, die im Juli im Alter von 75 Jahren unerwartet zurückgetreten war. Das bedeutet, dass Bush innert weniger Monate gleich zwei neue Richter für das Oberste Gericht benennen muss. Diese Aufgabe kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem Bush mit der Bewältigung der Auswirkungen von Hurrikan «Katrina» vor einer grossen politischen Bewährungsprobe steht und sein Ansehen wegen des Krieges im Irak auf einen Tiefpunkt gesunken ist.

Ob das Ableben von Rehnquist Einfluss auf die Roberts-Anhörung haben wird, bleibt abzuwarten. Über das Wochenende hat es vereinzelte Stimmen von demokratischen Senatoren gegeben, die eine Vertagung angeregt haben. Das ist von den Republikanern jedoch zurückgewiesen worden. Bisher haben die Demokraten kaum Argumente gegen Roberts gefunden, die ihnen einen Vorwand geben, seine Bestätigung zu verhindern, abgesehen davon, dass er als konservativ gilt.

Der Kandidat oder die Kandidatin, die Bush für die Rehnquist-Nachfolge benennt, muss dagegen damit rechnen, dass die Demokraten alles unternehmen werden, um sicherzustellen, dass der Richter nicht allzu weit rechts steht. Nachdem die Demokraten in den letzten Jahren nicht nur das Weisse Haus, sondern auch die Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses an die Republikaner verloren hatten, war der Supreme Court oft die einzige Instanz, in der sie noch eine Möglichkeit fanden, Einfluss vor allem auf den sozial- und gesellschaftspolitischen Kurs zu nehmen.

Rehnquists Vermächtnis
Das ist nicht zuletzt ein Vermächtnis von Rehnquist. Als er 1972 von Präsident Richard Nixon berufen wurde, steuerte das Oberste Gericht einen klaren Linkskurs. Dieser Trend hatte bereits Ende der dreissiger Jahre begonnen, sich aber unter Chefrichter Earl Warren in den sechziger Jahren deutlich intensiviert. In seinen ersten Jahren als Mitglied des Obersten Gerichtes war Rehnquist oft die einzige Stimme, die von der Mehrheitsmeinung abwich, was ihm den Beinamen «Lone Ranger» einbrachte. Im Laufe der Zeit gelang es ihm aber mit Hilfe von Kandidaten, die von Präsident Ronald Reagan – der ihn 1986 zum Chefrichter berief – und Präsident George Bush senior benannt worden waren, eine konservative Mehrheit zusammenzubringen, die allerdings nicht immer hielt. Vor allem die Richter Sandra Day O’Connor und Anthony Kennedy, die der Mitte zugerechnet werden, gingen oft eigene Wege.

Nach dem Urteil vieler Juristen, zu denen auch Professor Mark Tushnet von der Georgetown- Universität gehört, ist es Rehnquist zwar nicht gelungen, das Oberste Gericht auf einen Rechtskurs zu bringen, aber er habe es in eine neutrale Richtung gebracht. Das allerdings sei eine ausserordentliche Leistung. Was ihn in erster Linie von den mehr links orientierten Richtern unterschied, war eine tiefe Abneigung gegen die Einstellung, es sei das Amt des Supreme Court, Sozialpolitik zu betreiben. Das sei die Aufgabe der gewählten Volksvertreter, sagte er immer wieder.

Von Präsident Nixon berufen
Rehnquist, der 1924 in Milwaukee geboren wurde, war im Zweiten Weltkrieg Soldat und studierte danach Recht an der Stanford-Universität. Er begann seine Karriere als Anwalt in Phoenix im Gliedstaat Arizona. In der Nixon-Administration diente er als stellvertretender Generalstaatsanwalt, bis er 1972 im Alter von 47 Jahren in den Supreme Court berufen wurde. Obwohl er in der Öffentlichkeit vor allem wegen seiner abweichenden Urteile in sozialen und gesellschaftspolitischen Fragen wie dem Recht auf Abtreibung oder von Gebeten in Schulen bekannt geworden ist, dürfte sein bedeutendstes Vermächtnis darin bestehen, dass er die Macht des Bundesstaates, die nach dem Zweiten Weltkrieg stark ausgeweitet worden war, zugunsten der Rechte der Gliedstaaten zurückdrängte.

Der Chefrichter war von Anwälten, die vor ihm plädierten, gefürchtet, weil er auf Dekorum und Pünktlichkeit Wert legte. Hinter geschlossenen Türen dagegen war er von seinen Kollegen wie den Mitarbeitern hoch geachtet. Richter John Paul Stevens, der ideologische Widerpart von Rehnquist im Supreme Court, lobte den Vorsitzenden vor einigen Jahren für seine «Höflichkeit, Effizienz, gute Laune und absolute Unparteilichkeit».